09.12.2020 | aktualisiert am:  01.08.2022

Bauwerke könnten künftig einen digitalen Zwilling bekommen: Das Forschungsprojekt energyTWIN will mit virtuellen Abbildern etwa bei der Inbetriebnahme technischer Systeme unterstützen und Zusammenhänge zwischen anlagentechnischen Komponenten darstellen. Das soll den Gebäudebetrieb deutlich effizienter machen.

Die Bauwirtschaft gilt nicht als Vorreiterin der Digitalisierung. Viele Bereiche bleiben Handarbeit – auch wenn beispielsweise der Smart-Home-Trend zeigt, dass es bei der Energienutzung digitale Potenziale gibt. Diese will das Projekt "energyTWIN" mit einem vollkommen neuen Ansatz heben: einem digitalen Gebäudezwilling.

Die beteiligten Forscherinnen und Forscher entwickeln Verfahren, die Komponenten automatisch erkennen sowie klassifizieren können und auf dieser Grundlage den Aufbau und die Aktualisierung digitaler Gebäudemodelle ermöglichen. Diese Informationen sollen, teils durch maschinelles Lernen, zusammengeführt und automatisch miteinander verknüpft werden. Die Erfassung der gebäudetechnischen Anlagen erfolgt dabei mit modernen bild- und lasergestützten Sensoren wie auch Methoden der virtuellen und augmentierten Realität. Zur Verortung werden innovative Technologien aus dem Bereich der Indoor-Positionierung genutzt. Eine künstliche Intelligenz kann Informationen über funktionale und informationstechnische Zusammenhänge ableiten und verknüpfen. Das ist in dieser Form neu. Die softwaregestützte Modellierung von Gebäuden ist auch als "Building Information Modeling", kurz BIM bekannt.

Software kann Betriebszustände abgleichen

So entsteht ein strukturiertes Gebäudeinformationsmodell, das nicht den Planungs-, sondern den Ist-Zustand abbildet: der energyTWIN. Dieser ermöglicht Simulationen von möglichen Veränderungen im System, etwa zur Optimierung des Energiebedarfs. Soll das Bauwerk beispielsweise als Energiequelle oder -speicher (Prosumer) dienen, kommt oftmals komplizierte Regelungstechnik zum Einsatz. Das System unterstützt hier bei der Inbetriebnahme oder auch bei der Wartung, unter anderem durch Abgleich zwischen Soll und Ist von Betriebszuständen.

"Ein Digitaler Zwilling wird erst zum intelligenten Zwilling, wenn auch semantische Informationen und insbesondere Zusammenhänge in das Informationsmodell eingearbeitet werden. Und diese enormen Informationsmengen in der Gebäudetechnik müssen auch in einer für den Menschen verständlichen Form dargestellt werden", erklärt Professor Christoph van Treeck vom Lehrstuhl für Energieeffizientes Bauen (E3D) an der RWTH Aachen.

energyTWIN entwickelt einen digitalen Zwilling für Gebäude.
© gia, E3D
energyTWIN entwickelt einen digitalen Zwilling für Gebäude.

Auf den ersten Blick klinge es vielleicht widersprüchlich, dass diese Nutzerfreundlichkeit mit dem Einsatz von High-Tech erreicht werden soll: "Aber regelungstechnische Konzepte beziehen notwendigerweise Nutzerinteraktionen mit ein und erfordern Mensch-Technik-Schnittstellen, die von den Menschen auch akzeptiert und verstanden werden. Das wollen wir leisten."

Das innovative Vorhaben kombiniere erstmals die bild- und lasergestützte geometrische und semantische Erfassung von Gebäude- und Anlagenkomponenten mit der gleichzeitigen Erfassung elektronischer Daten aus der Gebäudeautomation. Das Ganze erfolgt über einen KI-basierten Ansatz. "Damit haben wir ein großes Alleinstellungsmerkmal. Wir ermöglichen Optimierungen über den gesamten Lebenszyklus von Bauwerken", so Professor Jörg Blankenbach vom Geodätischen Institut und Lehrstuhl für Bauinformatik & Geoinformationssysteme (gia) der RWTH Aachen.

Positionierung mit smarter Technologie

Um die Komponenten der Gebäudetechnik in digitalen Prozessen ansprechen zu können, bedarf es eines standardisierten Kennzeichnungssystems. Dazu wurden von den Forschenden in der ersten Projektphase vorhandene Kennzeichnungssysteme erfasst und das ISO 81346 als Basiskennzeichnungssystem ausgewählt.

Die Erfassung der Ist-Gebäudetechnik erfolgt mit den eingangs erwähnten Sensoren, die heute bereits in Smartphones oder Mixed-Reality-Brillen verbaut sind und damit die interaktiven Projektionen in der Realität darstellen können. So können Routen im Gebäude kartiert und virtualisiert werden. Entscheidend ist dabei die Kenntnis der Position und Orientierung (Pose) des Endgerätes beziehungsweise die genaue räumliche Verortung der Messdaten während der Bewegung durch das Gebäude, urteilt gia-Forscher Dr. Ralf Becker.

Das Verfahren dazu nennt sich Visual-Simultaneous Localization and Mapping (V-SLAM)-Pose-Tracking. Damit kann eine Navigation auch an Orten erfolgen, an denen die im Außenbereich übliche Satellitenpositionierung nicht zur Verfügung steht. Aus den aufgezeichneten und verorteten Daten der Erfassungssensoren entsteht schließlich eine hochaufgelöste 3D-Punktwolke, die unter Nutzung von Methoden der KI zum Abgleich mit dem BIM-Modell genutzt werden kann.

Testorte sind ein etwa 200 Kubikmeter großer Labordemonstrator eines Trinkwasserprüfstands (Viega Cube) in Aachen und ein Büroneubau in Koblenz.

energyTWIN ist 2020 gestartet und läuft voraussichtlich bis zum Dezember 2023. Federführend arbeiten die Lehrstühle gia und e3d der RWTH Aachen an dem Projekt. Außerdem sind die Unternehmen TEMA Technologie Marketing und IMS – Internet Marketing Service, die beiden Start-ups DiConneX und aedifion sowie als Anwender die Aachener Grundvermögen Kapitalverwaltungsgesellschaft beteiligt. (pj)

Kontakt

Softwareentwickler

aedifion GmbH
Hohenzollernring 72, 50672 Köln
https://www.aedifion.com/

+49 221 98650-770

Hochschulinstitut

RWTH Aachen Geodätisches Institut und Lehrstuhl für Bauinformatik & Geoinformationssysteme, Lehrstuhl für Energieeffizientes Bauen
Mies-van-der-Rohe-Str.1, 52074 Aachen
https://www.gia.rwth-aachen.de/ 

+49-241-80-95300

©metamorworks–stock.adobe.com

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