20.04.2020 | aktualisiert am: 12.07.2021

Erstmals testen Forscher den Einsatz eines Hochtemperaturspeichers für Netzstrom. Vorerfahrungen dazu, wie das System funktioniert, gibt es kaum. Aber es könnte künftig Strom und Wärme zu günstigen Preisen liefern, wenn die Netze sie benötigen.

Eigentlich ist es ganz einfach: Wenn Sonne und Wind zu viel Energie liefern und deshalb zu viel Strom im Netz ist, dann will Ulf Herrmann einfach Steine aufheizen – und wenn Strom oder Wärme gebraucht werden, gibt der Stein die Hitze wieder ab.

Herrmann ist Professor für Regenerative Energietechnik am Fachbereich Energietechnik der FH Aachen und gleichzeitig Leiter des Solar-Institut Jülich (SIJ). Mit dem Speicherprojekt „Tess 2.0“ will er Wärmespeicher auch für den Strommarkt nutzbar machen – entsprechend heißt das Projekt vollständig „Thermischer Stromspeicher für den Strommarkt 2.0“.

Und ganz einfach ist es leider doch nicht. Tatsächlich ist Tess 2.0 eines der ersten Projekte, in denen die Tauglichkeit von Wärmespeichern für die Stromspeicherung überprüft wird. Bislang gab es den Bedarf nicht. „Wir haben in Deutschland noch einen unterentwickelten Speichermarkt“, erklärt er. „Das liegt an den für Speicher schlechten Bedingungen.“

Wärmespeicher bekommen, anders als zum Beispiel Pumpspeicher, keine Steuererleichterungen und müssen auch Netzentgelte zahlen. Aber auch der Markt ist schwierig: „Derzeit liefern die fossilen Anlagen noch, Erneuerbare fangen die Tagespeaks ab und die CO2-Preise sind günstig“, erklärt Herrmann. Damit lohnt sich im Zweifel eher ein Redispatch oder das Hochfahren von Gaskraftwerken.

Das dürfte sich künftig ändern, wenn die CO2-Preise steigen und Kohle- und Atomstrom vom Markt verschwinden. Dann könnte Tess 2.0 einspringen. Passend also, dass die Pilotanlage im Brainergy Park Jülich stehen wird, einem Gewerbepark für neue Energien. Im Dezember gab es in dem Gebäude – dem ersten im Park – ein Richtfest, bei dem Herrmann Tess 2.0 vorstellte.

Unproblematische Materialien für Stromspeicher

Um die Emissionen in Deutschland zu senken, könnten Wärmespeicher ein Baustein sein. Denn sie haben einige Vorteile, kommen beispielsweise – im Unterschied zu elektrischen Speichern - ohne Kobalt, Lithium oder Seltene Erden aus. Öl oder Salz scheiden bei diesen hohen Temperatur als Speichermaterialien aus, Schüttgüter, etwa in Form geeigneter Steine, könnten mit der Zeit die Effizienz reduzieren, wären aber eine Alternative. Materialien, die weder ökologisch noch ökonomisch problematisch sind.

Der Anlagenbauer Otto Junker baut für das Projekt eine besonders flexible Widerstandsheizung ein, die mit heißer Luft die Keramiksteine des zweiten Projektpartners Dürr Systems aufheizt. Die 200 Kilowatt Heizleistung können den Speicher auf bis zu 1000 Grad aufladen. Mit solch hohen Temperaturen kann eine Turbine oder ein Motor angetrieben werden, der dann mittels eines Generators Strom erzeugt, zusätzlich zur nutzbaren Abwärme. Diese gleichzeitige Nutzung von Strom und Wärme würde einen Speicherwirkungsgrad von etwa 90 Prozent bedeuten. Pro gespeicherter Kilowattstunde Strom soll der Speicher wieder 0,32 kWh Strom und 0,58 kWh Wärme abgeben. Dabei kann es sich um Prozess- oder Nahwärme handeln. Insgesamt liegt die Kapazität bei 1000 kWh.

Im Vergleich zu herkömmlichen Power-to-Heat Anwendungen wird der exergetische Wirkungsgrad mehr als verdoppelt. Gegenüber Batteriespeichern verfügt das TESS 2.0-Konzept über geringere Investitionskosten und da die Energie ohne chemische Reaktion oder Phasenwechsel in Form von Wärme eingespeichert wird, kommt es zu lediglich geringen Verschleißerscheinungen bei gleichzeitig hohen Zyklen-Zahlen.

Wärmeabnehmer gesucht

Allerdings muss die Wärme dafür auch abgenommen werden. Deswegen schaut Professor Herrmann auch nicht nur auf den erneuerbaren Überschussstrom, sondern eine Nutzung in Städten: „Dort gibt es KWK-Anlagen, an die wir ankoppeln können. Das reduziert den Brennstoffeinsatz dieser Anlagen und senkt so die Emissionen.“

Ohne die Wärmenutzung sinkt der Wirkungsgrad auf unter 50 Prozent – aber auch das kann sich lohnen. Der teuerste Faktor ist das Material. Bei einer entsprechenden Auslastung wäre der Speicher laut Herrmann „konkurrenzlos“ günstig: „Wir werden auf jeden Fall billiger, als es Batterien heute sind.“ Sein Ziel sind fünf Cent pro kWh.

Anfang April startete der Bau der Pilotanlage in Jülich, beginnend mit dem Aufbau der Heizung. Der Speicher selbst steht bereits vor der Halle. Während des Vorhabens soll der Transfer zwischen Industrie und Forschung sich so weit intensivieren, dass der dritte Projektpartner, die Kraftanlagen München GmbH (KAM), solche Speicher am Markt anbieten kann. Deren Kunden sind Energieversorger, Stadtwerke oder Industriebetriebe mit großem Strom- und Wärmebedarf.

„Im Grunde funktioniert der Speicher ähnlich wie ein Blockheizkraftwerk, betrieben mit Speicherstrom statt einem Brennstoff“, so Herrmann. „Und deshalb ist das auch keine disruptive Technologie. Sie ergänzt sich gut mit KWK, senkt Brennstoffkosten und bringt uns unseren Klimazielen näher.“ Möglich, dass der Speicher dann sogar als Teil eines virtuellen Kraftwerks im Regelenergiemarkt eingesetzt werden kann. Das wird sich spätestens im Herbst 2020 zeigen, wenn die Anlage errichtet ist und in Betrieb gehen kann.

Kontakt

Koordination

Solar Institut Jülich der FH Aachen
https://www.fh-aachen.de/forschung/solar-institut-juelich

+49(0)241-6009-53532

Das Informationssystem EnArgus bietet Angaben zur Forschungsförderung, so auch zu diesem Projekt.
©aryfahmed – stock.adobe.com

Klimaneutrale Wärme

Während der Großteil der Wärme insbesondere in Bestandsgebäuden und in Prozessanlagen heute noch durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe mit entsprechenden CO2-Emissionen erzeugt wird, darf im Jahr 2050 die Wärmeerzeugung nur noch CO2-frei erfolgen. Dies stellt eine große Herausforderung dar.

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