Ein Unternehmen der Solarbranche saniert eine abbruchreife Industriehalle – und macht das so gründlich, dass daraus ein multifunktionales Plusenergie-Gebäude wird. Der Bauherr nutzt das Gebäude in Hannover jetzt als Bürogebäude mit großzügigen Fertigungs- und Lagerbereichen. Der Bürotrakt hat einen Wärmeschutz nach Passivhausstandard. Heizung und Klimatisierung des Gebäudes erfolgen vollständig durch Solarstrom, Solarthermie und Holzpellets. Der erzeugte Solarstrom übersteigt in der Jahressumme den Bedarf der Nutzer deutlich.

Im Juni 2011 bezog das Unternehmen AS Solar seinen neuen Firmensitz an der Nenndorfer Chaussee in Hannover. Die 200 Mitarbeiter der AS Solar Gruppe forschen, entwickeln und vertreiben von Hannover aus weltweit Produkte in den Bereichen Photovoltaik, Solarthermie und Pelletheizungen. Der Gebäudekomplex war Bestandteil von Werk II der Firma Telefunken, das 1959 erbaut worden war. Bis Anfang der 1980er Jahre wurden hier Fernsehgeräte produziert. Später beherbergte die Industriehalle eine Großdruckerei. Bis zum Jahr 2000 wurde sie dann von Speditionen als Lagerhalle und Parkplatz genutzt und stand seitdem leer. Das Gebäude war schließlich durch Vandalismus gezeichnet und eigentlich reif für den Abriss.

Doch die AS Solar hatte andere Pläne für den Gebäudekomplex: Im Jahre 2010 wurde mit einer grundlegenden Sanierung des Gebäudes begonnen. Der Bauherr wollte in dem Gebäude für eigenen Zwecke Büro‐, Fertigungs‐ und Lagerbereiche unterbringen. Er plant zudem den Bau einer Solartankstelle am Firmenstandort.

Forschungsfokus

Mit dem Forschungsprojekt soll untersucht werden, wie bei diesem speziellen Gebäudetyp und den damit verbundenen ungünstigsten Voraussetzungen (Zustand, Baukörper und Zonierung) dennoch hochwertige Energiestandards realisierbar sind. Dabei soll das Zusammenspiel von Energiebereitstellung, Energiespeicherung und der Übergabe in den Räumen im Kontext zum Nutzerverhalten genauer untersucht werden. Die Ausbildung der architektonischen Elemente zur Erreichung eines teilweise im Passivhausstandard sanierten Gebäudes wird überwacht und mit den simulierten Energiekennwerten verglichen. Die Gebäudeperformance soll evaluiert und im laufenden Betrieb optimiert werden.

Außerdem soll auf Basis der gesammelten Erfahrungen ein Leitfaden für die Sanierung gewerblicher Gebäude nach dem Plusenergie-Standard publiziert werden. Analysiert werden dafür auch die energetischen Einsparpotenziale, welche durch eine abgestimmte Auswahl von passiven Maßnahmen und mit aktiven Systemen sowie über eine optimierte Zonierung und Nutzung zu erreichen sind.

Sanierungskonzept

Das Gebäude ist freistehend und besteht aus zwei Gebäudeteilen in Stahlbeton-Skelettbauweise, jeweils mit einer flach geneigten Satteldachkonstruktion. Es wurden sowohl Produktions‐ und Lagerbereiche als auch etwa 7.000 Quadratmeter Büroflächen untergebracht. Neben einer Versorgungsküche, der Cafeteria, zwei Seminarräumen sowie einem Technik-Showroom im Erdgeschoss werden im Zwischengeschoss Büroräume sowie Toiletten, Duschen und Sozialräume in den Gebäudebestand integriert. Alle Bürobereiche – und büroähnlich genutzte Bereiche – wurden nach Passivhaus‐Standard ausgeführt. Der nach EnEV 2009 sanierte Bereich für die Fertigung grenzt direkt an den Bürobereich im Zwischengeschoss an. Der Lagerbereich wurde ohne weitere Wärmeschutzmaßnahmen saniert und bleibt unbeheizt.

Der Sanierungsentwurf wurde im Hinblick auf die Nutzung erneuerbarer Energien optimiert. Die Tageslichtnutzung und passiv-solare Wärmegewinne wurden über mehr Fensterflächen sowie zentral im Grundriss angeordnete großzügige Lichthöfe gesteigert. Durch die Anordnung von Lichtlenkeinrichtungen im Fassadenbereich wird die Tageslichtnutzung gesteigert und der Kunstlichtbedarf reduziert. Das Gebäude erreicht einen energetischen Standard, der deutlich über die Anforderungen der aktuellen EnEV für Bestands‐ und Neubauten hinausgeht.

Energiekonzept

Die Wärme‐ und Kälteversorgung des Gebäudes erfolgt über regenerative Energien. 150 Quadratmeter Vakuumröhrenkollektoren an den West-, Süd- und Ostfassaden unterstützen die Wärmeversorgung, die durch eine Holzpellet‐Heizkesselanlage erfolgt. Als Wärmespeicher dient ein bereits vorhandener, 30 Kubikmeter großer Sprinklertank. Durch die energetische Sanierung der Gebäudehülle nach Passivhaus‐Standard, eine auf den reduzierten Wärmebedarf angepasste Heizungsanlage sowie die Integration einer Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung (Rückwärmezahl bis zu 0,85) reduziert sich der Heizenergiebedarf von etwa 270 kWh/m²a um mehr als 90% auf etwa 25 kWh/m²a (bezogen auf den beheizten Gebäudebereich). Die Kühlung der Bürobereiche erfolgt im Sommer über eine solarthermisch angetriebene Adsorptionskältemaschine mit einer Kälteleistung von 30 kW. Spitzenlasten beim Kältebedarf deckt eine Kompressionskältemaschine mit einer Kälteleistung 160 kW.

Auf dem Dach ist eine Photovoltaik‐Anlage mit einer Leistung von 300 kWp installiert. Der erzeugte Strom wird weitestgehend im Gebäude genutzt; überschüssiger Solarstrom wird in das öffentliche Netz einspeist. Die Abwärme der Wechselrichter wird während der Heizperiode in die Lüftung eingespeist und zur Heizung des Gebäudes genutzt. Im Sommer werden die Wechselrichter mit Frischluft gekühlt, um so höhere Erträge für die Photovoltaikanlage erzielen zu können. Eine weitere Solarstromanlage mit 125 kWp Leistung soll auf einer angrenzenden Lagerhalle im zweiten Bauabschnitt installiert werden. Mit dem konsequenten Einsatz erneuerbarer Energien für Heizung und Klimatisierung und mit der Stromproduktion durch die beiden großflächigen Photovoltaik‐Anlagen erreicht das energetisch optimierte Gebäude in der Jahresenergiebilanz den Plusenergie-Standard.

Performance und Optimierung

Seit März 2011 wird das ehemalige Telefunkenwerk II als Lager- und Fertigungsstätte sowie Büro durch die AS Solar GmbH genutzt. Der für die Cafeteria vorgesehene Gebäudeteil befindet sich derzeit noch in der Sanierung. Die Kompressionskälteanlage sowie die Absorptionskälteanlage sind aufgrund des bis heute nicht erforderlichen Bedarfs an Kälteenergie nicht in Betrieb. Aufgrund des noch fehlenden Anbaus des Hauptgebäudes und somit der momentan noch fehlenden Dachfläche konnten bisher von den geplanten 574 kWp nur 268 kWp Photovoltaik in Betrieb genommen werden.
Die vorläufige Bewertung der Gebäudeperformance bezieht sich auf den Messzeitraum von August 2013 bis Januar 2014:

Wärmebilanz: Der solare Deckungsanteil liegt im zu erwartendem Bereich von 100% für den ersten aufgezeichneten Sommermonat August 2013. Die Biomasseheizkessel schalten in der Übergangsjahreszeit dazu und übernehmen in den Wintermonaten die Wärmebereitstellung zu fast 100%. Strombilanz: Für den aufgezeichneten Messzeitraum liegt der solare Deckungsanteil im Monat August 2013 bei etwa 175%. Das heißt, es wurde mehr Strom produziert als verbraucht.

Projektkenndaten

Bauherr, Betreiber und Nutzer AS Solar GmbH
Baujahr des Gebäudes 1959
Inbetriebnahme 03.2011
Bruttogrundfläche (nach DIN 277) 13.000 m²
Beheizte Nettogrundfläche (für Nichtwohngebäude, in Anlehnung an DIN 277) 7.055 m²
Bruttorauminhalt 53.332 m³
Arbeitsplätze (oder Schüler oder vergleichbare Personenangaben) 250 Personen
Nutzfläche AN (nach EnEV) 17.066 m²
A/V-Verhältnis (vor / nach Sanierung) 0,34 / 0,31 m²/m³
Energiekennwerte Bedarf      

Energiekennwerte nach EnEV, d.h. nach DIN 4108-6 bzw. DIN 18599 berechnet.
Bezugsfläche ist jeweils die beheizte Nettogrundfläche nach DIN 277.

     
  nach Sanierung 
vor Sanierung   
Heizwärmebedarf (Nutzenergiebedarf Wärme) 25,00 270,00 kWh/m²a
Primärenergie Wärme 94,20   kWh/m²a
Primärenergie Gesamt 163,30   kWh/m²a
Sanierungskosten  
Kosten netto nach DIN 276 bezogen auf die Bruttogrundfläche (BGF) nach DIN 277, Kostenfeststellung  
Kosten für die (Sanierung der) Baukonstruktion [KG 300] 409 EUR/m²
Kosten für die (Sanierung der) Technischen Anlagen [KG 400] 219 EUR/m²

 

Zuletzt aktualisiert am:
01.09.2021

Abbruchreife Industriehalle wird Plusenergie-Gebäude

För­der­kenn­zei­chen: 03ET1046A

Projektlaufzeit
01.01.2012 30.06.2015 Heute ab­ge­schlos­sen

The­men

Sanierung von Einzelgebäuden, Heizen, Lüften, Kühlen, Tageslicht & Beleuchtung, Gebäudebetrieb & Gebäudeautomation, Solare Wärme, Solarstrom, Biomasse, Planung & Auslegung, Betriebsoptimierung

För­der­sum­me: 284.135,00 €

Kontakt

Koordination
Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Fakultät Versorgungstechnik, Institut für energieoptimierte Systeme (EOS)
http://www.ostfalia.de/v

Tel.:   +49(0)5331-93939

Weiterführende Links

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