Wie können sogenannte graue Emissionen effektiv gemessen und begrenzt werden? Forschende im Projekt KEA Bauwerk haben Bewertungsgrundlagen und Hilfsmittel erarbeitet, um Energieaufwand und Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus von Gebäuden zu mindern. Die Ergebnisse wurden nun veröffentlicht.

In Deutschland gibt es fast 20 Millionen Wohnhäuser und nahezu zwei Millionen Nichtwohngebäude, die unter das Gebäudeenergiegesetz (GEG) fallen. All diese Gebäude, vom Einfamilienhaus bis zum Bürokomplex, verbrauchen Energie zum Heizen, Kühlen oder für die Warmwasserbereitung. Jährlich entfallen mehr als 30 Prozent des Energieverbrauchs in Deutschland auf den Betrieb von Gebäuden: 2019 rund 3.084 Petajoule und damit rund 184 Millionen Tonnen CO₂. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen Gebäude in ihrem Betrieb klimafreundlicher und effizienter mit Energie versorgt werden.

Doch ist ein vollständig aus erneuerbaren Quellen versorgtes Gebäude automatisch klimaneutral in seinem Lebenszyklus? Nein, denn sogenannte graue Energie und graue Emissionen – also Anteile, die unter anderem bei der Herstellung der einzelnen Komponenten angefallen sind – müssen ebenfalls berücksichtigt und einbezogen werden. Hinzu kommen Energieverbrauch und Emissionen, die im Laufe des Lebenszyklus des Gebäudes für Reparaturen, Modernisierungen oder schließlich für den Abriss und die Entsorgung der Komponenten anfallen.

Wie können graue Energie und graue Emissionen gemessen und begrenzt werden?

Auch diese grauen Emissionen sollen mit Blick auf die Klimaziele reduziert werden. Wie dies künftig gelingen kann, haben Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) im Projekt KEA Bauwerk untersucht (Grundlagen und Hilfsmittel für die Minimierung von Energieaufwand und Treibhausgas-Emissionen im Lebenszyklus von Gebäuden inklusive Beitrag zum IEA EBC Annex 72). Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens sind während der Projektlaufzeit nicht nur in nationale Richtlinien eingeflossen, sie sollen im Rahmen des IEA EBC Annex 72 auch international dazu beitragen, den Energieaufwand und die Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus von Gebäuden zu verringern. Die Ergebnisse wurden nun veröffentlicht.

Grundlagen für verbindliche Anforderungen schaffen

„Ausgangspunkt für unser Projekt waren Diskussionen auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene“, erklärt Projektleiter Prof. Thomas Lützkendorf. „Die Frage ist, ob, wann und wie der Aufwand an nicht erneuerbarer Primärenergie sowie die Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus von Gebäuden begrenzt werden können – und wie daraus schließlich verbindliche Anforderungen in Förderprogrammen und Gesetzen entstehen können.“

Das Projekt KEA Bauwerk hat wichtige Grundlagen für die Beantwortung dieser Fragen erarbeitet beziehungsweise weiterentwickelt. Eine solche Lebenszyklusanalyse unter Nutzung der angewandten Ökobilanzierung eines Gebäudes ist facettenreich. Denn viele Aspekte greifen ineinander. Nutzt man etwa weniger energieaufwändig hergestelltes, aber dafür weniger effektives Dämmmaterial, sinkt zwar der Verbrauch bei der grauen Energie und die grauen Emissionen verringern sich, auf lange Sicht verbraucht das Gebäude aber mehr Energie beim Heizen und es werden mehr Treibhausgasemissionen verursacht.

Die Forschenden haben sich deshalb unter anderem die Frage gestellt: Existiert ein Optimum zwischen Energieaufwand für Herstellung und Instandhaltung einerseits und dem Energieaufwand in der Nutzungsphase andererseits? Sie betrachten außerdem, wie die genaue Ausdifferenzierung der Nutzungsphase aussehen kann, wie die Gewinnung und Erzeugung erneuerbarer Energie im oder am Gebäude in die Bilanzierung einfließen kann, welche Besonderheiten dabei bei Biomasse und beim Kohlenstoffgehalt der Bauprodukte zu beachten sind und wie Ausgleichs- und Kompensationsmaßnahmen gestaltet und anerkannt werden können.

Je effizienter Gebäude werden, desto mehr rücken graue Emissionen in den Fokus

Am Anfang dieser Überlegungen stand die Frage danach, was eigentlich als klimaneutral gilt. Denn die Definition variiert je nach Bewertungsmodell und Land. Die Forschenden haben 35 verschiedene Ansätze analysiert, nach denen Gebäude in verschiedenen Ländern zertifiziert werden können. Die ambitioniertesten Ansätze fand das Team von KEA Bauwerk in Kanada, Frankreich, Deutschland, Norwegen, Schweden, Großbritannien und den USA. All diese Ansätze konzentrierten sich darauf, im Lebenszyklus insgesamt treibhausgasneutral zu sein.

Die verschiedenen Methoden unterschieden sich jedoch unter anderem in folgenden Fragen: Wie wird die Nutzung von Elektrizität in Bezug auf entsprechende Emissionsfaktoren berücksichtigt, wie wird der Zeitaspekt einbezogen und wie können Emissionen kompensiert werden? Wie sich diese Unterschiede auswirken, zeigt eine weitere Untersuchung. Hier haben die Forschenden die Treibhausgasemissionen eines beispielhaften Gebäudes mit 17 verschiedenen internationalen Ansätzen und Datenbanken zur Lebenszyklusanalyse untersucht.

Die größten Unterschiede in den verschiedenen Methoden sind demnach die verwendeten Daten zur Ökobilanz der Bauprodukte, die für die Analysen genutzt wurden, die Systemgrenzen des Gebäude- und Lebenszyklusmodells und der Betrachtungszeitraum. Doch obwohl sich die errechneten Treibhausgasemissionen für das Referenzgebäude unterscheiden, sind die individuellen Ergebnisse relevant für Vergleiche im jeweiligen nationalen Kontext. Die Forschenden kommen zu dem Ergebnis, dass es wichtig ist, dass Benchmarks zu den Systemgrenzen der Lebenszyklusanalyse und zur Datengrundlage im jeweiligen Land passen. Außerdem fanden sie Hinweise dafür, dass Herstellung und Erhalt von Baukonstruktionen einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag zur Umweltbelastung durch Gebäude leisten und daher in Lebenszyklusanalysen aufgenommen werden sollten.

Um besser zu verstehen, inwieweit Lebenszyklusanalysen heute schon in der Praxis zum Einsatz kommen und welche Hemmnisse es gibt, haben die Forschenden zudem Fachleute aus Architektur und Bauplanung in 23 Ländern befragt. Weniger als ein Drittel der Befragten boten zum Zeitpunkt der Befragung Lebenszyklusanalysen an oder nutzten diese selbst. Als Grund gaben die Fachleute vor allem die zu geringe Nachfrage ihrer Kunden an. In Deutschland nutzen zwar bisher nur 16 Prozent der Befragten eine Lebenszyklusanalyse, doch mehr als 30 Prozent planten, diese mittelfristig einzusetzen.

Über die Hälfte der Fachleute (in Deutschland 30 Prozent) haben jedoch bereits praktische Erfahrungen mit Building Information Modelling (BIM) gesammelt. BIM könnte also ein wichtiges Tool werden, um Lebenszyklusanalysen künftig in Planungsprozesse einzubinden. Entsprechende Funktionen und Daten für die Lebenszyklusanalyse nutzten aber bisher nur 9 Prozent (in Deutschland 4 Prozent) der Planerinnen und Planer.

Was ist Building Information Modeling (BIM)?

Building Information Modeling (BIM) steht für eine Methode der digitalen Planung, bei der ein Digitaler Zwilling (englisch: Digital Twin) eines Gebäudes erstellt wird. Mithilfe dieses digitalen Modells können Planung, Bauausführung und der Gebäudebetrieb optimiert werden und es kann flexibel auf geänderte Ansprüche reagiert werden. Auch das Thema Lebenszyklusanalyse kann in den Prozess des BIM integriert werden.

Wissen zu Grundlagen und Tools in Architektur und Bauplanung stärken

Die Forschenden schlossen aus den Ergebnissen, dass nicht nur relevante Daten und Tools die Anwendung von Lebenszyklusanalysen unterstützen. Zusätzlich ist es wichtig, Standards und gesetzliche Vorgaben zu etablieren, um die Nachfrage auf der Kundenseite zu stärken. „Wir gehen davon aus, dass verbindliche Vorgaben zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus von Gebäuden mittelfristig in Deutschland eingeführt werden“, sagt Lützkendorf. „Bis dahin sollte die Zeit genutzt werden, um Immobilienwirtschaft und Bauplanung auf diese Aufgabe vorzubereiten und der Branche das nötige Wissen und die Tools für die Lebenszyklusanalyse an die Hand zu geben. Die Nachfrage muss dann von den Investoren beziehungsweise Bauherren kommen – ausgelöst und verstärkt durch Faktoren wie Vorteile bei Finanzierung und Wertermittlung oder aufgrund von gesetzlichen Vorgaben.“

Ergebnisse fließen in nationale und europäische Normen ein

Die Ergebnisse des Projektes KEA Bauwerk wurden und werden in die Diskussion zur Weiterentwicklung europäischer Normen eingebracht, die auch in das deutsche Normenwerk übernommen werden, darunter DIN EN 15643 und die künftige EN 15978-1. Sie flossen unmittelbar in die Bilanzierungsregeln zum Qualitätssiegel Nachhaltiges Bauen (QNG) ein sowie zum neuen Förderprogramm Klimafreundlicher Neubau (KFN) und spielen aktuell bei den Diskussionen zu einem künftigen GEG eine Rolle. Die internationale Kooperation im Rahmen des IEA-Projektverbundes hat zudem dazu geführt, dass Hinweise zum Aufbau und zur Weiterentwicklung von Datenbanken nun auch unter anderem in Indien zum Einsatz kommen.

Im Rahmen das IEA-Projektes sind zudem mehrere Veröffentlichungen in englischer Sprache mit detaillierten Informationen, Beispielen aus der Praxis und Handlungsempfehlungen erschienen. (ks)

Benchmarking und Zielsetzung für die lebenszyklusbasierte Umweltleistung von Gebäuden

Die Forschenden sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Benchmarks und Zielwerte unverzichtbare Instrumente sind, um die Umweltbelastung von Gebäuden zu bewerten und zu beeinflussen. Mit verschiedenen Grundsätzen und Handlungsempfehlungen wollen sie die beteiligten Akteure dabei unterstützen, solche Grenz- und Zielwerte zu entwickeln und anzuwenden.

Den kompletten Bericht in englischer Sprache finden Sie hier: EBC Annex 72: Assessing Life Cycle Related Environmental Impacts Caused by Buildings - Benchmarking and Target-setting for the Life Cycle-based Environmental Performance of Buildings

Kontextspezifische Bewertungsmethoden für von Gebäuden verursachte lebenszyklusbezogene Umweltauswirkungen

In diesem Bericht konzentrieren sich die Forschenden auf methodische Fragen im Zusammenhang mit der Bewertung des Primärenergiebedarfs, der Treibhausgasemissionen und anderer Umweltauswirkungen von Gebäuden. Hauptziel ist es, Grundlagen für die Weiterentwicklung spezifischer Bewertungsmethoden zu schaffen und deren weltweite Anwendung in der Praxis sowie die weltweite Standardisierung der verwendeten Methoden zu fördern.

Dar komplette Bericht in englischer Sprache finden Sie hier: BC Annex 72: Assessing Life Cycle Related Environmental Impacts Caused by Buildings - Context-specific Assessment Methods for Life Cycle-related Environmental Impacts Caused by Buildings

Zuletzt aktualisiert am: 02.08.2023

EnOB: KEA-Bauwerk. Grundlagen und Hilfsmittel für die Minimierung von Energieaufwand und Treibhausgas-Emissionen im Lebenszyklus von Gebäuden inkl. Beitrag zum IEA EBC Annex 72

För­der­kenn­zei­chen: 03ET1550A

Projektlaufzeit
01.01.2018 30.11.2022 Heute ab­ge­schlos­sen

The­men

Energieoptimierte Gebäude

För­der­sum­me: 338.125 Euro

Kontakt

Koordination
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Lehrstuhl Ökonomie und Ökologie des Wohnungsbaus
www.oew.kit.edu/index.php

0721 608 4 8336

©metamorworks–stock.adobe.com

Digitale Werkzeuge, Konzepte und Methoden

Die Informations- und Kommunikationstechnik spielt in Gebäuden und Quartieren eine wichtige Rolle. Denn innovative Gebäudetechnik und eine elektrische, thermische sowie digitale Vernetzung von Gebäuden, Quartieren und Energiesystemen können diese energetisch maßgeblich optimieren.

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