Auf einer Industriebrache entstand die Plusenergiesiedlung „Ludmilla-Wohnpark Landshut“. Ein intensives Monitoring und die anschließende Optimierung des Gebäudebetriebs konnten den Energieverbrauch deutlich senken. Zunächst führten unsachgemäßes Verhalten der Bewohner und Fehler in der Betriebsführung zu Verbräuchen, die deutlich über der Planung lagen. Eine neue Online-Visualisierung der Energieverbräuche ermöglicht es jedem Bewohner den eigenen Verbrauch in direktem Vergleich zum Siedlungsdurchschnitt zu betrachten.

Im Rahmen des Vorhabens "+Eins" wurde der Ludmilla-Wohnpark in Landshut mit 180 Wohneinheiten untersucht. Plusenergiegebäude sind der Inbegriff der energieeffizienten Verzahnung von Gebäude und Anlagentechnik. Trotz verbesserter Energieeffizienz kann der Energieverbrauch durch das Nutzerverhalten weiter steigen – im Extremfall so stark, dass die Einspareffekte effizienter Gebäude völlig zunichte gemacht werden. Rebound-Effekt nennen Fachleute dieses Phänomen. Sind Geräte effizienter tendieren die Nutzer dazu, sie häufiger oder länger zu benutzen. 

Forschungsfokus

Ziel des Projekts war eine gebäudetechnische und energetische Analyse des Wohnparks. Darüber hinaus wurden Gebäudesimulationen durchgeführt, ein Simulationstool für oberflächennahe Geothermie entwickelt, eine Verbrauchs-Visualisierung zur Energieeffizienz-Sensibilisierung der Bewohner sowie Leitfäden für Bewohner und Planer entwickelt. Neben der energetischen Bewertung des Gesamtkonzepts betrachteten die Forscher den Einfluss von Energieplussiedlungen auf das Stromnetz der Energieversorger. Die Erkenntnisse sollen Beachtung in zukünftigen Bauprojekten finden.

Quartierskonzept

Der Ludmilla-Wohnpark besteht aus 180 Wohneinheiten in Plusenergiebauweise, einigen Einfamilienhäusern, Doppel-und Reihenhäusern und acht Mehrfamilienhäusern. Die Mehrfamilienhäuser umschließen das Wohnareal, in dessen Mitte die Reihen-und Einfamilienhäuser angelegt sind.

Voraussetzung für Plusenergiegebäude ist eine sehr gute Dämmung der Gebäudehülle. Abweichend von den heute in den meisten Neubauten eingesetzten Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) aus Betonbauteilen und außen angebrachter Wärmedämmung kommen in diesem Bauvorhaben Ziegel mit integrierter Dämmung zum Einsatz. Auf diese Weise können die Vorzüge der Ziegelbauweise mit einem guten Dämmwert kombiniert werden. Mineralgranulat füllt die Lufträume der Ziegel aus. Dadurch entsteht zusätzlich ein "Schallschlucker". Die Kombination aus porosierten Ziegeln und Mineralgranulat mit einem λR ≤ 0,040 W/(mK) gewährleistet eine gute Dämmung mit einem U-Wert von 0,18 W/(m2K) des Gesamtziegels. Weiterhin kommen dreifach verglaste Fenster mit einem UW-Wert = 0,92 W/m2K zum Einsatz. Sämtliche Bauteile unterschreiten die geforderten Mindestwerte der EnEV 2009 deutlich. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Einsatz innovativer Gebäudetechnik.

Energiekonzept

Die Gebäude- und Anlagenplanung des Projektes erfolgte bereits vor Beginn der Projektlaufzeit im Frühjahr 2009. Die bauliche Realisierung startete 2010 und konnte Mitte 2011 abgeschlossen werden. Anschließend begann ein intensives Monitoring, um Informationen für die Umsetzung und den Betrieb zukünftiger Plusenergiesiedlungen zu erhalten.

Einfamilien-, Doppel- und Reihenhäuser

  • Einsatz von Kleinst-Wärmepumpen, die speziell für Niedrigstenergiehäuser entwickelt wurden.
  • Die Wärmepumpe verfügt über Umkehrbetrieb für den Sommer, Nutzung der Abwärme zur Beheizung des Trinkwarmwassers.
  • Nutzung von oberflächennaher Erdwärme durch Erdkollektoren mit unterschiedlichen Einbauvarianten.
  • Sehr gute Temperaturverhältnisse auf der Wärmequellen- und Heizungsseite, um die Arbeitszahl der Wärmepumpe zu optimieren.
  • Beheizung der Räume über FBH mit einer max. Vorlauftemperatur 35°C (LowEx).
  • Kontrollierte Wohnraumlüftung mit η > 80%.
  • Luftkanalführung in Betondecke, um optimale Ausblasstandorte für die Durchströmung zu garantieren.
  • Deckung des Strombedarfs für Beheizung, Belüftung und Warmwasserbereitung über PV-Anlagen.

Mehrfamilienhäuser

  • Einsatz eines Brennwert-BHKW zur Grundlastdeckung (ausgelegt auf TWW-Bereitung).
  • Brennwerttherme als Spitzenlastkessel.
  • 10.000 Liter Pufferspeicher, um die Wärmemenge für die TWW-Spitzenlast (morgens und abends) über den Tag produzieren und speichern zu können.
  • Jede Wohnung besitzt eine eigene Kompakt-Station, in der TWW im Durchlaufprinzip nur bei Bedarf erzeugt wird (Keine TWW-Zirkulation notwendig).
  • Kompakt-Station dient auch als Übergabe für die Fußbodenheizung.
  • Versorgung der Mehrfamilienhäuser über ein gemeinsames Nahwärmenetz.
  • Vorlauftemperatur im gesamten Nahwärmenetz aufgrund der Kompakt-Stationen max. 60°C (dadurch geringere Verluste der Wärmeverteilung)
  • Einsatz zentraler Lüftungsgeräte mit η > 80% zur Gewährleistung des Mindestluftwechsels.
  • Zusätzlich zur Stromproduktion des BHKW wird Strom über PV-Anlagen auf den Dächern produziert.

Messtechnisches Konzept

Erfasst werden die Gasverbräuche des BHKW und des Spitzenlastkessels, die Hilfsenergie sowie die Stromerzeugung des BHKW und der PV-Anlagen. In 17 ausgewählten Wohnungen (99 Räume) erfassten die Wissenschaftler Temperaturen und Luftfeuchte. Für alle zentralen Lüftungsanlagen in den Mehrfamilienhäusern und den Lüftungsanlagen der Einfamilienhäuser wurden der Stromverbrauch sowie die Temperaturen und Luftfeuchten aufgenommen. Um Aussagen zur Raumluftqualität zu machen, erfolgte die Bestimmung des CO2-Gehalt in der Abluft von 10 Wohnungen sowie in der Außen- und Fortluft von 4 MFH.

Für alle Wohnungen und EFH wurde die Nutzenergien für Haushaltsstrom, Heizung und Warmwasserbereitung ermittelt. Zusätzlich erfassten Sensoren in den acht MFH den Endenergiebedarf an Wärme und für die EFH die gewonnene Umweltwärme aus oberflächennaher Geothermie. Um das Temperaturverhalten des Geothermie-Feldes zu untersuchen, kamen eine Vielzahl von Temperaturfühler im Erdreich und den Leitungen zum Einsatz.

Visualisierung der Energieverbräuche

Die im Wohnpark eingebrachte Messtechnik wurde zusätzlich dafür genutzt, eine Verbrauchs-Visualisierung für die Bewohner zu realisieren. Damit können die aktuellen Energieverbräuche für Haushaltsstrom, Heizung und Warmwasserbereitung vom Nutzer der jeweiligen Wohneinheit eingesehen werden. Um den Datenschutz zu gewährleisten, ist jede Wohneinheit durch ein Passwort geschützt. Zuvor erfolgten Befragungen, um mit deren Hilfe Erkenntnisse über den Aufbau einer Visualisierung und den Einfluss der visualisierten Energiewerte auf das Verhalten der Personen zu erhalten. 

Performance und Optimierung

Der durchschnittlich gemessene Verbrauch aller EFH und MFH lag 15 bis 30% über den berechneten Werten. Es zeigten sich Abweichungen im Nutzenergieverbrauch von ± 100%. Hier setzten die Bewohner–Befragungen, die Schulungen und die Verbrauchs-Visualisierung an, um die Bewohner für das Thema Energie zu sensibilisieren.

Das Monitoring zeigte ebenfalls, wie sich der Energieverbrauch durch technische Optimierungen reduzieren lässt. Der hydraulischen Abgleich des Nahwärmenetzes sowie die Regelung für die kontrollierte Wohnraumlüftung wurden optimiert und das Blockheizkraftwerk hydraulisch anders als zunächst angedacht in das Gesamtsystem eingebunden.

Im ersten Betriebsjahr lag der Anteil der Erzeugungs- und Verteilverluste sowie der Hilfsenergien bei 51% des Endenergieverbrauchs. Es kam also weniger als die Hälfte der eingesetzten Endenergie bei den Nutzern an. Nach den Optimierungsmaßnahmen konnten 20% bei der Wärmeversorgung und 50% der Hilfsenergie eingespart werden.

Die gesammelten Erfahrungen lassen die Aussage zu, dass das Ziel einer positiven Energiebilanz für Siedlungen und Quartiere aus ökologischer, ökonomischer und technischer Sicht nicht zwingend den einzig zielführenden Weg darstellt. Vielmehr ist es sinnvoll, die Potentiale zur Eigenversorgung aus zur Verfügung stehenden erneuerbaren Energiequellen für jedes Bauvorhaben frühzeitig zu ermitteln, die eigenerzeugte Energie idealerweise zur Deckung des eigenen Energieverbrauchs zu nutzen und die aktiven und passiven Maßnahmen aufeinander abzustimmen. Nur so kann das Optimum für den jeweiligen Anwendungsfall gefunden werden.

Simulationstool für oberflächennahe Geothermie

Für die Beheizung von Plusenergiegebäuden wird aufgrund des sehr guten Dämmstandards wenig Energie benötigt. Um eine positive Energiebilanz zu erreichen, ist der Einsatz von Wärmepumpen eine interessante Alternative. Aus diesem Grund wurde ein Simulationstool entwickelt, dass es ermöglicht, Planungsfehler bei der Auslegung von Erdwärmetauschern zu vermeiden.

Das an der TU Dresden entwickelte Simulationsprogramm „Delphin“ berechnet den Wärme- und Feuchtetransport in Bauteilen. Es dient als Grundlage für ein Simulationstool für oberflächennahe Geothermie. Wesentliche physikalische Prozesse wie Wärmeleitung, Diffusion, kapillare Leitung, Enthalpie-Transport und Verdunstung wurden von Delphin bereits beherrscht und sind validiert. Der Entzug und das Einspeichern von Wärme aus dem bzw. in das Erdreich, der Einfluss des Grundwassers auf die Wärmeverteilung im Erdreich sowie die Schmelzenthalpie (Vereisung) wurden im Rahmen des Projekts in das Programm integriert. Somit kann das neue Planungswerkzeug das Verhalten des Erdreichs realistisch über mehrere Jahre im Voraus berechnen (Bodenmodell). Die Simulationsergebnisse wurden mit den Messungen für acht verschiedene Einbauvarianten von Erdkollektoren verglichen und bewertet. Erzeugungsverluste und Hilfsenergien wurden reduziert – bei gleichzeitig erhöhter Nachfrage nach Heizwärme. Insgesamt konnte 20% Energie für die Wärmeversorgung der MFH sowie 50% an Hilfsenergie durch die Optimierungsmaßmahmen eingespart werden.

Projektkenndaten

Flächengrößen/Maße    
Bruttogrundfläche (nach DIN 277) 7.600 m²  
Wohnfläche insgesamt 7.600 m²  
Zahl der Wohneinheiten 68 WE  
GRZ (Grundflächenzahl) 0,34 GRZ  
GFZ (Geschossflächenzahl) 1,05 GFZ  
Angaben zur Nutzung, Bebauungsstruktur, Altersstruktur Neubau, Eigentumswohnungen und -häuser  
Angaben zur Energieversorgung EFH - Wärmepumpen, MFH – Nahwärmenetz, Heizzentrale mit BHKW und Spitzenlastkessel (Brennstoff Erdgas)  
     
Angaben zu nichttechnischen Erfolgsfaktoren für Quartierskonzept und –entwicklung Die Bewohner von Plusenergiesiedlungen konnten für energieschonendes Wohnen sensibilisiert werden, indem Ihnen der Einfluss des Nutzerverhaltens auf den Energieverbrauch, besonders bei sehr energieoptimierten Gebäudetypen, aufgezeigt wurde. Parallel dazu erstellten die Forscher Leitfäden und Handlungsempfehlungen für Planer von Plusenergiesiedlungen, um bereits in der Planungsphase auf wichtige Punkte hinzuweisen und so in zukünftigen Bauvorhaben im Vorfeld die Weichen in Richtung energieeffizienter Gebäude zu stellen.

 

Endenergiebedarf (Wärme, nach DIN V 18599)  40,00 kWh/m²a  
Endenergiebedarf (Strom, nach DIN V 18599) 30,00 kWh/m²a

 

Bezugsfläche für Kostendaten Bruttogrundfläche 7.600 m²  
Investitionen    
Gebäudebezogene Investitionen nach HOAI (KG 300 und KG 400), Investitionen für Infrastrukturmaßnahmen (Energiesystem, Erschließung, Wohnumfeld etc.)    
KG 300 830,00 €/m² BGF  
KG 400 260,00 €/m² BGF
Zuletzt aktualisiert am: 12.07.2021

Energieoptimiertes Bauen: Plusenergiesiedlung Landshut (+Eins)

För­der­kenn­zei­chen: 0327431R

Projektlaufzeit
01.08.2010 31.12.2014 Heute ab­ge­schlos­sen

The­men

Quartierskonzepte, Neubau von Siedlungen, Betriebsführung & Energiemanagement, Solarstrom, Modellierung & Simulation, Monitoring & Bilanzierung

För­der­sum­me: 778.946,00 €

Kontakt

Koordination
Hochschule für angewandte Wissenschaften München, CENERGIE
http://www.ccgm.hm.edu

Tel.: +49(0)89-1265-1543

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