Rund 115.000 Menschen besuchten im Sommer 2022 den Wettbewerb Solar Decathlon Europe in Wuppertal. Internationale Studierendenteams präsentierten hier Konzepte für klimafreundliche Gebäude im urbanen Bestand. Viele Erkenntnisse können jetzt in der Forschung und Praxis weiterverwendet werden. 

Mehr Klimaschutz in urbanen Räumen ist möglich. Wie, das zeigten insgesamt 16 Teams aus elf Ländern an ihren funktionierenden Demonstratoren, die sie auf einem Gelände im Mirker Stadtquartier in Wuppertal aufbauten. Bereits Anfang 2020 hatte ein Auswahlkomitee die Gebäudekonzepte der Bewerberinnen und Bewerber bewertet und Teams ausgewählt, die dann ihre Ideen im Maßstab 1:1 umsetzen konnten. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz förderte den Solar Decathlon Europe 21/22 (SDE21/22) mit rund 11,8 Millionen Euro.

Um- und Weiterbau statt Abriss und Neubau

„Es geht nicht um hippe Tiny Houses, sondern um die relevanten Themen für bestehende Gebäude und Quartiere in der Stadt. Das Profil des Solar Decathlon Europe 21/22 heißt energieeffizientes, solares Bauen im urbanen Bestand“, erklärte damals der Wettbewerbsdirektor Professor Karsten Voss von der Bergischen Universität Wuppertal. „Auf den Wettbewerb bezogen bedeutet dies, dass es um mehr geht als um einzelne Häuser oder um eine einzelne Baulücke. Vielmehr werden die Situationen komplexer: ein Haus mit Umgebung, ein weiteres Gebäude, an das angedockt werden kann, oder ein Nachbargrundstück, das überbaut werden darf.“ Kurz: Durch Anbauen, Aufstocken und das Schließen von Baulücken soll nachhaltiger Wohnraum in Städten entstehen. Damit bekommt der Wettbewerb eine komplett neue Zielrichtung.

Deutsches Team gewinnt Solar Decathlon Europe

Zum ersten Mal gewann schließlich ein deutsches Team den Solar Decathlon Europe. Das Gewinner-Team RoofKIT aus Karlsruhe hatte ein Konzept entwickelt, das bisher ungenutzte Dachflächen sozial ausgleichend, energetisch erneuerbar und zirkulär nachhaltig erschließt. Den zweiten Platz erzielte das Team VIRTUe aus dem niederländischen Eindhoven. Platz drei teilten sich die Teams AuRA aus Grenoble, Frankreich, und SUM aus Delft, Niederlande. Deutsche Teams waren insgesamt an sieben von 16 Wettbewerbshäusern beteiligt.

In den Kategorien Architektur, Gebäudetechnik und Bauphysik, Realisierbarkeit und sozial-ökonomischer Kontext, Kommunikation und Bildung, Nachhaltigkeit sowie urbane Mobilität wurden die Häuser jeweils durch hochrangig besetzte Jurys bewertet. Über zwei Wochen wurde vor Ort Energieeffizienz, Stromerzeugung, Eigenverbrauchsdeckung, Raumklima und die Gebäude-Stromnetz-Interaktion aller Wettbewerbsgebäude vergleichend gemessen.

Ergebnis und Rangliste der Teams in allen Disziplinen am Ende des Wettbewerbs.
Ergebnis und Rangliste der Teams in allen Disziplinen am Ende des Wettbewerbs. | ©SDE 21/22

Erkenntnisse aus Wettbewerb öffentlich zugänglich

„Eine wichtige Aufgabe des Wettbewerbs ist auch die nachträgliche Verwertung der dort gesammelten Erkenntnisse und Ergebnisse“, erklärt Voss. „Demonstrationsgebäude können zum Beispiel für Forschungs- und Lehre weitergenutzt werden.“ So befinden sich acht der Demonstratoren nach wie vor in Wuppertal und sind Bestandteil des Living Lab NRW, einer Einrichtung an der Universität Wuppertal. Das RoofKIT-Team hat sein Demonstrationshaus in Wuppertal demontiert und am Karlsruher Institut für Technologie wiederaufgebaut. Sukzessive binden Forschende dort reale Verbraucher in weitere Untersuchungen ein.

Die Ergebnisse des SDE21/22 werden zudem in Fachzeitschriften sowie auf einer Wissensplattform veröffentlicht, über die umfangreiche Gebäudeinformationen und Messdaten aller Solar Decathlons verfügbar sind. Einige Erkenntnisse aus dem SDE 21/22 werden im Folgenden auszugweise dargestellt. Eine ausführliche Dokumentation bieten zwei kürzlich erschienene Bücher zum Thema (siehe Infobox).

Die Bücher zum Wettbewerb in deutscher und englischer Sprache

Das Buch zum Solar Decathlon liegt auf einem Tisch.
©Bergische Universität Wuppertal

Das englischsprachige Quellenbuch zum Wettbewerb fasst alle Ergebnisse, die Beiträge der Teams und eine erste Queranalyse der wichtigsten Themen zusammen: „Solar decathlon europe 21/22 – competition source book“

Von den deutschen Teilnehmenden des Solar Decathlon Europe 21/22 ist 2023 ein Buch in deutscher Sprache mit einer vertieften Darstellung ihrer Projekte erschienen: „Solares und kreislaufgerechtes Bauen – Die deutschen Beiträge zum Solar Decathlon Europe 21/22“

Zudem wurden Erkenntnisse aus dem Wettbewerb in englischer Sprache in der Publikation Energy & Building veröffentlicht: Solar energy engineering and solar system integration – The solar Decathlon Europe 21/22 student competition experiences

Wohnfläche pro Person reduzieren

In vielen Ländern steigt seit Jahren der Bedarf nach Wohnfläche. Von 46,1 auf 47,7 Quadratmeter pro Kopf hat sich dieser zum Beispiel in Deutschland von 2011 bis 2021 erhöht. Gleichzeitig sind die vorhandenen Energie- und Materialressourcen begrenzt. Unter dem Schlagwort „Suffizienz“ entwickelten die SDE-Teams in der Disziplin Nachhaltigkeit Lösungsvorschläge. Die Reduzierung der individuellen Wohnfläche, die Flexibilisierung von Grundrissen und neue Wohnformen sind hier mögliche Ansätze. Verglichen mit dem durchschnittlichen deutschen Wohnflächenbedarf aus dem Jahr 2018 reduzierten alle Teams mit ihren Gesamtentwürfen die Wohnfläche pro Person um 25 bis 50 Prozent.

Viele Möglichkeiten für Kreislaufwirtschaft

Die Nachhaltigkeitsjury des SDE21/22 bewertete auch, inwiefern die Teams biologische und technische Stoffkreisläufe berücksichtigten. Im Bauwesen gibt es zahlreiche biologische Baustoffe, die für eine Kreislaufwirtschaft geeignet sind, wie etwa Holz. Dieses hat in einer nachhaltigen Forstwirtschaft großes Recyclingpotenzial, vor allem wenn die Holzprodukte nach der Erstnutzung mehrmals downgecycelt werden. Alle Teams errichteten ihre Demonstrationsgebäude in Holzbauweise. Weitere Möglichkeiten für mehr Nachhaltigkeit sind biotische Dämmstoffe wie Holzfaser oder tierische Baustoffe wie Schafswolle. Metalle oder Lehm-Baustoffe können auch nachdem sie demontiert und sortiert wurden, wiederverwendet werden.

Solarsysteme vielseitig umgesetzt

Eine wesentliche Zielvorgabe für die Teams war es, eine ausgeglichene oder positive Energiebilanz für ihre Gebäudekonzepte nachzuweisen. Dazu mussten zum einen die Häuser sowie die dort integrierte Gebäudetechnik eine hohe Energieeffizienz aufweisen. Zum anderen musste ein hoher Anteil des Energiebedarfs solar gedeckt werden.

Eine Herausforderung bei der Einbindung von Sonnenenergie war es, die Solarsysteme technisch und architektonisch sinnvoll in die Gebäude zu integrieren. Einige Teams setzten bei ihren Konzepten auf minimale Sichtbarkeit von Standardanlagen auf Dächern. Andere entwarfen maßgeschneiderte Anlagen, die sie architektonisch vollständig in die Fassade integrierten.

Bei der Umsetzung der Entwürfe als Wettbewerbsgebäude gab es neben solarthermischen Kollektoren sechs Anlagen in Hybridbauweise, sogenannte Photovoltaisch-thermische (PVT)-Kollektoren. Hintergrund für deren Einsatz ist, dass städtische Räume meist dicht besiedelt sind und einen hohen Energiebedarf haben. Soll dieser mit erneuerbarer Energie gedeckt werden, müssen geeignete Flächen möglichst effizient zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt werden. Hier bieten sich PVT-Kollektoren an, die Sonnenenergie sowohl in Strom als auch in Wärme umwandeln.

Beim Wettbewerb kamen zum Beispiel PVT-Kollektoren in Form von PV-Modulen mit rückseitig integrierter Verrohrung zum Einsatz. Das Aachener Team verwendete Standard-PV-Module, die über ein rückseitig aufgestecktes Rohrsystem thermisch aktiviert wurden. Das Team aus Biberach nutzte PVT-Kollektoren mit der zusätzlichen Funktion eines Außenluft-Wärmetauschers auf der Rückseite. Während des Wettbewerbs vor Ort wurden die meisten Kollektoren in Kombination mit Wärmepumpen oder Heizelementen zur Warmwasserbereitung in Verbindung mit Wärmespeichern betrieben.

Gute Ergebnisse bei den Energiebilanzen

Beim Energieverbrauch dominierte bei den Gebäudekonzepten der Verbrauch von Haushaltsgeräten, Beleuchtung und Kleinverbrauchern gegenüber dem der Haustechnik. Deren Energieverbrauch betraf in erster Linie die Lüftung, Warmwasserbereitung und Gebäudeautomation, da die aktive Raumheizung und -kühlung mit Wärmepumpen nicht zulässig war. Die Unterschiede zwischen den Projekten lagen hier bei einem Faktor von bis zu 4,6. Dies hängt unter anderem davon ab, ob solarthermische Anlagen für die Warmwasserbereitung zuständig sind oder Wärmepumpen beziehungsweise Heizpatronen eingesetzt werden. Bis auf zwei Gebäude wiesen alle Gebäude eine deutlich positive oder ausgeglichene Energiebilanz auf, wenn man die Erzeugungs- und Verbrauchswerte vergleicht. Ausschlaggebend für die negativen Bilanzen war ein zu hoher Energieverbrauch in Kombination mit dem nicht optimalen Betrieb der Solaranlagen.

BIM-Methode kommt erstmals zum Einsatz

Beim SDE 21/22 wurde erstmals bei einem SDE die BIM (Building Information Modeling)-Methode eingesetzt. Dazu stellten die Veranstalter allen Teams einen Modellierungsleitfaden zur Erstellung von digitalen Zwillingen für die Wettbewerbsgebäude zur Verfügung. Insgesamt sind die Ergebnisse für die erste Anwendung der BIM-Methode und die anspruchsvolle Planung und Umsetzung der Projekte gut ausgefallen.

Die auf dieser Basis erstellten Modelle überprüfte das Team der Bergischen Universität Wuppertal regelmäßig und die studentischen Teams konnten bei Bedarf Korrekturen vornehmen. Als Ergebnis liegen jetzt 16 Architekturmodelle und zehn Modelle der Technischen Gebäudeausrüstung als IFC (Industrie Foundation Classes)-Modelle vor. Diese können etwa für zukünftige Forschungsprojekte oder andere Anwendungen genutzt werden. Auch diese Informationen sind über die Knowledge-Plattform verfügbar.

Staffelstabübergabe beim ersten Living Lab Forum

Seit Oktober 2022 befassen sich fünf Doktoranden von nordrhein-westfälischen Hochschulen mit acht ausgewählten Wettbewerbsgebäuden des Solar Decathlon Europe 21/22. Das für drei bis fünf Jahre angelegte Vorhaben Living Lab NRW befasst sich mit verschiedenen Forschungsthemen. „Das Living Lab NRW ist eine an der Bergischen Universität angegliederte, zentrale Forschungs- und Bildungseinrichtung des Landes NRW für klimaneutrales und nachhaltiges Bauen in der Stadt“, erklärt die Projektleiterin Katharina Simon von der Bergischen Universität Wuppertal. Ab Mai 2023 sind öffentliche Führungen in den ehemaligen SDE-Wettbewerbsgebäuden möglich. Am 9. Mai 2023 findet das erste Living Lab NRW Forum statt. Hier geben SDE-Teamleader ihre Erkenntnisse für Forschung und Lehre weiter. Mit inhaltlichen Querschnittsanalysen werden die aus dem Wettbewerb gewonnenen Ergebnisse eingeordnet. Zur Anmeldung geht es hier. (bs)

Zuletzt aktualisiert am: 30.01.2024

EG2050: UrbanSolar Decathlon

För­der­kenn­zei­chen: 03EGB0019

Projektlaufzeit
01.01.2019 30.06.2023 Heute ab­ge­schlos­sen

The­men

klimafreundliche Gebäude im urbanen Bestand, Wettbewerb, Solarsysteme, nachhaltige Energieversorgung, Nachhaltigkeit

För­der­sum­me: 12.270.771,00 €

Kontakt

Koordination Solar Decathlon Europe 21/22

Bergische Universität Wuppertal
https://sdeurope.uni-wuppertal.de/de/

Tel.: 0202 439 4510

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