
Reallabor der Energiewende IW3
Quartiere nachhaltig mit Wärme versorgen
Während Strom in Deutschland mit einem Anteil von etwa 40 Prozent schon zu großen Teilen aus regenerativen Energien gewonnen wird, basiert die Wärme- und Kälteversorgung noch immer weitestgehend auf fossilen Energieträgern. Eine erfolgreiche Wärmewende kann daher einen bedeutenden Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten.
Insbesondere im urbanen Raum ist das Potential zum Einsatz von leitungsgebundener Wärmeversorgung groß. So bieten neue Erzeugungs- und Speichertechnologien, intelligente Sektorkopplung und innovative Geschäftsmodelle die Grundlage für große CO2-Einsparungen und ermöglichen so eine nachhaltige Transformation der Wärme- und Kälteversorgung.
Praxistransfer unterstützen
Am Beispiel des Hamburger Stadtteils Wilhelmsburg, eines stark wachsenden Stadtquartiers, wird dies mit dem Reallabor der Energiewende Integrierte WärmeWende Wilhelmsburg, kurz IW³, demonstriert. Kürzlich starteten hier die Boharbeiten für die geplante Geothermie-Anlage. In den Reallaboren werden zukunftsweisende Projekte im industriellen Maßstab umgesetzt. Im 7. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung sollen sie als Förderformat den Praxistransfer von innovativen Technologien und Verfahren für die Energiewende unterstützen und den Umbau des deutschen Energiesystems beschleunigen.
Ganzheitliche Betrachtung des urbanen Wärmesystems
Das Herstellen und Verteilen regenerativer Wärme im urbanen Raum ist aufgrund der hohen Kosten für die benötigten Flächen, Infrastrukturen und Erzeugungsanlagen bislang nur schwer umsetzbar. Hier setzt IW³ an. Das Reallabor soll verdeutlichen, wie auch in Großstädten mit innovativen Technologien und Geschäftsmodellen eine klimaschonende, energieeffiziente und bezahlbare Wärmeversorgung möglich ist. IW³ verfolgt dabei ein integratives Konzept. Die zugrundeliegende Idee, ein städtisches Wärmesystem nachhaltig zur transformieren, wird ganzheitlich betrachtet: Erzeugungsseite, Systemintegration und Marktseite greifen ineinander. Bestehende und neue regenerative Erzeuger sowie Wärmespeicher werden miteinander kombiniert und in ein virtuelles Kraftwerk integriert. Ein innovativer Wärmemarktplatz bietet die Möglichkeit Energie aus unterschiedlichen Quellen und von verschiedenen Anbietern transparent, automatisiert und effizient zu handeln. Die Sektoren Wärme, Strom und Mobilität werden intelligent miteinander gekoppelt.
Geothermische Potentiale im urbanen Raum nutzen
Ein wichtiger Bestandteil von IW³ ist der Bau einer Geothermie-Anlage. Mit dieser soll zukünftig aus einer Thermalwasser-Lagerstätte in einer Tiefe von rund 3.500 Meter geothermische Energie gewonnen und in das Nahwärmenetz eingespeist werden. Der Bau eines Aquifer-Wärmespeichers soll es zudem ermöglichen, überschüssige Wärme saisonal zwischen zu speichern. Weitere Erzeugungs- und Speicher-Komponenten des Reallabors sind bereits vorhanden. Der „Energiebunker“ nutzt neben einem Großpufferspeicher unter anderem Solarthermie, Biomasse oder Industriewärme zur regenerativen Wärmeversorgung. Auf dem „Energieberg“ wird mit Windenergie- und Photovoltaik-Anlagen Strom erzeugt. Sie werden über eine neue Koppelstelle miteinander verbunden, um die Erzeugerparks sowie den bestehenden Speicher optimal nutzen zu können.
Neben den baulichen Aspekten setzt IW³ auf eine konsequente digitale Vernetzung. So soll die Erzeugung und der Handel von Wärme sowie die Schnittstelle zwischen Wärme- und Strommarkt so effizient wie möglich gestaltet werden. Ein intelligentes Wärmenetz verbindet die unterschiedlichen Erzeuger über ein virtuelles Kraftwerk. Durch detaillierte Prognosen des Wärmeabsatzes und -bedarfs kann so der Einsatz der einzelnen Anlagen optimal gesteuert werden. Erzeuger, Abnehmer und Kunden werden darüber hinaus über einen neuartigen Wärmemarkt zusammengebracht. Dort kann dem Kunden Wärme, je nach Herkunft, in unterschiedlichen Qualitäten angeboten werden. Zur Bilanzierung der Wärmeversorgung werden in IW³ zwei unterschiedliche Verfahren eingesetzt und verglichen: Ein bilanzielles Herkunftsnachweisregister sowie ein Echtzeitnachweis auf Basis der Blockchain-Technologie.
Elektrische Energie, die über bereits vorhandene Anlagen, etwa durch Windkraft- und Solarthermie auf dem „Energieberg“, gewonnen wird, kann darüber hinaus bedarfsgerecht in das Gesamtsystem eingebunden werden. So kann der Strom zum einen für E-Mobilität-Anwendungen im Stadtquartier genutzt werden. Zum anderen kann er mittels Power-to-Heat-Technologien, also der Erzeugung von Wärme mit elektrischer Energie, auch die Wärmeversorgung ergänzen.
Blaupause für Städte in ganz Deutschland
Das Reallabor in Wilhelmsburg, einem Stadtteil mit zukünftig fast 70.000 Einwohnern, kann als Leuchtturm für einen nachhaltigen Umbau von urbanen Räumen, Strahlkraft auch über Hamburg hinaus entwickeln. Die hier angewandten Technologien und Verfahren können in Zukunft als Blaupause für Quartiere und Städte in ganz Deutschland herangezogen werden. Insbesondere mit Blick auf Nutzung geothermischer Energie, die bislang aufgrund hoher wirtschaftlicher Risiken bei der Erschließung nur an wenigen Orten in Deutschland umgesetzt wurde, könnte Wilhelmsburg zu einem Pilotstandort entwickelt werden. (lh)