16.05.2022 | Aktualisiert am: 13.06.2022

Anbauen, Aufstocken, Baulücken schließen: So kann nachhaltiger Wohnraum in Städten entstehen. Wie internationale Studierendenteams diese Aufgabe in die Praxis umgesetzt haben, können Interessierte vom 10. bis 26. Juni in Wuppertal besichtigen.

Bis 2045 strebt die Bundesregierung einen klimaneutralen Gebäudebestand in Deutschland an. Großes Potenzial für mehr Klimaschutz findet man unter anderem in urbanen Räumen. Aus diesem Grund setzt der internationale, studentische Gebäude-Energie-Wettbewerb Solar Decathlon Europe 21/22 (SDE 21/22) bei typischen Strukturen in europäischen Großstädten an: In den letzten drei Jahren entwickelten Studierendenteams aus elf Ländern technische, architektonische und soziale Lösungen für die Stadt von morgen.

„Es geht nicht um hippe Tiny Houses, sondern um die relevanten Themen für bestehende Gebäude und Quartiere. Das Profil des SDE21/22 heißt energieeffizientes, solares Bauen im urbanen Bestand“, erklärt der Wettbewerbsdirektor Professor Karsten Voss von der Bergischen Universität Wuppertal. „Auf den Wettbewerb bezogen bedeutet dies, dass es um mehr geht als um einzelne Häuser oder um eine einzelne Baulücke. Vielmehr werden die Situationen komplexer: ein Haus mit Umgebung, ein weiteres Gebäude, an das angedockt werden kann, oder ein Nachbargrundstück, das überbaut werden darf.“ Um- und Weiterbau statt Abriss und Neubau lautet also die Devise des diesjährigen Solar Decathlon Europe.

Solarer Zehnkampf in den Disziplinen Architektur bis Innovation

Bereits Anfang 2020 hatte eine international besetzte Jury die Gebäudeentwürfe der Bewerberinnen und Bewerber bewertet und Teams ausgewählt, die dann ihre Ideen weiter umsetzen konnten. Pandemiebedingt verlängerte sich der Wettbewerb und endet mit dem Finale vom 10. bis 26. Juni 2022 in Wuppertal. Hierfür bauen jetzt 16 der 18 Teams auf dem Solar Campus in Wuppertal einen repräsentativen Teil ihrer Entwürfe auf, als funktionierende Hausprototypen im Maßstab 1:1. Zwei Teams aus Thailand können ihre Gebäude auf Grund gesteigerter Transportkosten nicht in Wuppertal aufbauen. Die Projekte werden außerhalb des Wettbewerbs in die Veranstaltung eingebunden.

Die 16 ein- bis zweigeschossigen Wettbewerbsgebäude in Wuppertal verfügen über bis zu 110 Quadratmeter Wohnfläche und kombinieren anspruchsvolle Architektur, Bau- und Gebäudetechnik. Alle Häuser nutzen Solarsysteme zur Dekarbonisierung der Energieversorgung. Das sind einerseits Photovoltaikanlagen mit Batteriespeichern, aber auch thermische Solaranlagen oder hybride Solarsysteme. Ihre überzeugende Integration in die Architektur ist ein wesentliches Merkmal. Energieeffizienz, Eigenverbrauchsdeckung, Autarkiegrad und die Gebäude-Stromnetz-Interaktion der Häuser werden vor Ort über zwei Wochen vergleichend gemessen. Neben einer laufenden Evaluation über Messungen bewertet eine prominent besetzte Jury die Häuser in folgenden Kategorien: Architektur, Gebäudetechnik und Bauphysik, Realisierbarkeit und sozial-ökonomischer Kontext, Kommunikation und Bildung, Nachhaltigkeit, urbane Mobilität sowie Innovation. Sieben Wettbewerbsgebäude sind mit deutscher Beteiligung entstanden.

Die deutschen Wettbewerbsgebäude im Überblick

coLLab Stuttgart

Das Team entwickelt ein Aufstockungs- und Sanierungskonzept für den Bau 5 des HFT-Campus in Stuttgart mit maximalem Übertragungspotenzial auf ähnliche Betonskelettbauten. Damit möchten die Akteure Raum für studentisches Wohnen direkt am Innenstadtcampus schaffen. Grundlage für den Entwurf ist ein konstruktives Holzgitter, das sog. „GRID“, welches auf die jeweilige Bestandsstruktur aufgestellt ist beziehungsweise diese umgibt. Der Innenraum der Wohneinheiten ist gekennzeichnet durch sogenannte Funktionswände an beiden Seiten, in denen intelligente Möbel und die Technikkomponenten eingebaut sind. Mögliche Zwischenraumfüllungen des GRIDs sind Kollektoren zur regenerativen Strom- oder Wärmegewinnung, Sonnenschutz, Begrünung, tageslichtdurchlässige Gitter und Durchbrüche.

Deeply High Istanbul/Lübeck

Das türkisch-deutsche Wettbewerbsteam entwickelt eine umweltfreundliche Gebäudeaufstockung am Beispiel klassischer Sozialbauten der 50er bis 90er Jahre in Kiel. Das Team setzt unter anderem auf organische Photovoltaik, Stromgewinnung durch Abwärme und das Thema Algaetecture. Hierbei handelt es sich zum einen um die natürliche Abwasseraufbereitung durch Algen, wodurch Wasser in unterschiedlichen Qualitäten gewonnen wird. Für die Dämmung der Wände verwendet das Team nachwachsende Rohstoffe wie Stroh oder Hanf. Beliebig oft energie- und emissionsarm auf mindestens gleicher Qualitätsstufe recycelbar sind die Oberflächen aus Lehm.

levelup Rosenheim

Das Rosenheimer Team präsentiert Sanierungsmaßnahmen und eine Aufstockung für ein Bestandsgebäude im Nürnberger Stadtteil Ludwigsfeld. Dieses Gebäude ist repräsentativ für einen sehr großen Gebäudebestand in Deutschland aus den 1950er bis 70er Jahren. levelup steht für eine modulare, flexible Aufstockung in Holzleichtbauweise. Es besteht aus vorgefertigten Modulen in standardisierten Größen. Geäudeintegrierte PV-Module sorgen für Strom und über ein Fassadenheizsystem auch für die Grundtemperierung des Gebäudes. Im Sommer werden die Bestandsmauern so von außen gekühlt und im Winter erwärmt. Der im Winter zusätzlich benötigte Heizbedarf wird über den Rücklauf des örtlichen Fernwärmenetzes abgedeckt. Auf den Dachflächen der Aufstockung werden ebenfalls hocheffiziente Photovoltaik-Module installiert. Das Gebäude erreicht Plusenergiestandard.

LOCAL+ Aachen

Das ganze Haus dient als eine große Wohngemeinschaft, in der Keller, Erdgeschoss und Garten als Gemeinschaftsbereiche dienen. Die CUBEs schaffen räumliche Vielfalt, indem sie anpassungsfähige Zonierungen von Räumen ermöglichen. Neben der sozialen Interaktion ist es das Ziel von LOCAL+, neue Energie- und Nachhaltigkeitskonzepte zu integrieren. Mit einer geschickten Kombination verschiedener Konzepte zur Erzeugung, Speicherung und Nutzung von Energie können zwei Drittel des Energiebedarfs des Hauses gedeckt werden. Außerdem kann durch eine effiziente sowie suffiziente Materialauswahl und eine rückbaubare Konstruktion die Kreislauffähigkeit des Hauses gesteigert werden.

MIMO Düsseldorf

Bei diesem Projekt geht es um die Sanierung und Aufstockung des Cafés ADA in Wuppertal. 15 Wohnmodule aus leimfreien Vollholz auf dem Dach sollen zusätzlichen Wohnraum für je eine bis vier Personen schaffen. Herzstück des Energiekonzepts ist der energiBUS, ein Steuerungssystem, das die Photovoltaikanlage mit einer Wärmepumpe, einem Kälte- und einem Wärmespeicher sowie den größeren Haushaltsgeräten im Gebäude koppelt. Die gesamte Gebäudestruktur ist von einer Klimahülle umgeben, die aus horizontalen Glaslamellen besteht. Das Haus wird durch die Lamellen natürlich klimatisiert. Darüber hinaus ist jede Lamelle mit Photovoltaikzellen ausgestattet und erzeugt Strom aus Sonnenstrahlung. Das Dach ist so geformt, dass es Regenwasser auffängt und in einer Zisterne sammelt.

RoofKIT Karlsruhe

Team RoofKIT entwickelt am Beispiel des Cafés ADA in Wuppertal eine städtebauliche Blaupause auf bisher ungenutzten Flächenressourcen der Städte: den Dachflächen. Ziel ist es die Stadt als soziale Fabrik, urbanes Rohstofflager und nachhaltigen Energieproduzenten zu verstehen. Das Team möchte Energiekreisläufe schließen, indem Gebäuderückstände wie organische Abfälle und Abwässer zur Energie- und Wärmeerzeugung genutzt werden. Sonnenenergie wird über Gebäudeflächen sowie durch Solaranlagen im Hinterhof genutzt.  Die Nutzung vorgefertigter Holzmodule macht den Bauprozess schneller, effizienter und kostengünstiger.

X4S Biberach

Das Team hat das Gebäude des Cafés ADA in Wuppertal um vier Wohn- und Arbeitsgeschosse erweitert. Für eine kostengünstige und schnelle Bauweise setzt das Team auf Massivholzkonstruktionen. Die Bauteile sind trennbar und wiederverwendbar. Ein hoher Vorfertigungsgrad ermöglicht kurze Bauzeiten und reduziert die Umweltbelastungen. Eine für solare Gewinne optimierte Gebäudehülle im Passivhausstandard minimiert den Energieverbrauch. Die Außenfassade trägt ebenso wie das Dach zur Erzeugung von Wärme und Strom bei. Dafür werden Photovoltaikmodule sowie kombinierte Solarthermie- und Photovoltaikelemente (PVT-Module) in die Gebäudehülle integriert. Neue Speichersysteme ermöglichen einen hohen Grad an Autarkie. Ein intelligentes Gebäude-Managementsystem übernimmt die Betriebsführung der gesamten Haustechnik, was den netzverträglichen Gebäudebetrieb unterstützt. (bs)

 

Kontakt

Koordination

Bergische Universität Wuppertal
https://www.uni-wuppertal.de/

0202 439 4510

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