Im Projekt NENIA wird erstmals die produzierte Abwärme aller Industriestandorte in Deutschland systematisch erfasst. Gleichzeitig entsteht ein Wärmebedarfsatlas, auf dem der Wärmebedarf des deutschen Wohn- und Nichtwohngebäudebestands – energetisch typisiert – verzeichnet ist. Durch einen Abgleich dieser beiden Register lassen sich die Potenziale industrieller Abwärme bestimmen, die in Wärmenetze eingespeist und zur Versorgung von Gebäuden und Quartieren genutzt werden können. Diese Informationen sind in einem sogenannten Abwärmekataster gebündelt dokumentiert.

Industrielle Abwärme für die Wärmeversorgung von Gebäuden und Quartieren zu nutzen, ist ein wichtiger Baustein der Energiewende im Wärmesektor. Die Industrie selber kann die produzierte Wärme meist nicht oder nur stark eingeschränkt nutzen. Wird die Abwärme stattdessen in die Wärmenetze für Gebäude und Quartiere eingespeist, kann der Bedarf an Primärenergie dort deutlich gesenkt werden. Bislang gibt es jedoch keine belastbaren Zahlen, nach denen sich das Potenzial dieser externen Nutzung in Wärmenetzen beurteilen ließe. Eine solche Beurteilung soll nun durch das Abwärmekataster möglich werden, das im Rahmen des Projekts NENIA entwickelt wird. Darin werden die theoretisch verfügbaren Abwärmepotenziale nach technisch-wirtschaftlichen Kriterien bewertet und auf diese Weise das realistisch verwertbare Potenzial ermittelt. Das Kataster wird außerdem um Erkenntnisse aus umfassenden Praxiserhebungen und Fallstudien ergänzt. Auf dieser Grundlage und unter Einbindung von Stakeholdern aus Industrie und Fernwärmebrache können Handlungsempfehlungen für weitere Vorhaben zur Abwärmenutzung abgeleitet werden.

Potenziale, Hemmnisse und Elemente zur Förderung netzgebundener Abwärmenutzung.
Potenziale, Hemmnisse und Elemente zur Förderung netzgebundener Abwärmenutzung. (© ifeu)

Fokus

Ziel des Projekts NENIA ist die Entwicklung eines bundesweiten Modells, das eine nach technischen und wirtschaftlichen Kriterien realistische und quantitative Einschätzung über die Nutzung industrieller Abwärme in Wärmenetzen ermöglicht.

Die theoretisch verfügbaren Abwärmepotenziale werden primär aus standortscharfen Daten aus Emissionserklärungen ermittelt (gemäß der elften Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes). Die Daten werden aufbereitet, plausibilisiert und über weitere Datenquellen wie das europäische Schadstoffregister E-PRTR angereichert. Die Beurteilung dieser theoretisch verfügbaren Potenziale nach technisch-wirtschaftlichen Kriterien erfolgt auf Grundlage eines Wärmebedarfsatlas sowie eines darauf aufbauenden Wärmenetzpotenzialmodells. Der Wärmebedarfsatlas ist räumlich hoch aufgelöst, er basiert auf dreidimensionalen Gebäudemodellen der Landesvermessungsämter, umfasst den gesamten deutschen Wohn- und Nichtwohngebäudebestand und wird mit Sanierungsszenarien aus dem Gebäudemodell GEMOD des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) verknüpft.

Schematischer Ablauf der Forschungsarbeiten
Schematischer Ablauf der Forschungsarbeiten (© ifeu, GEF, indevo, geomer?

Das ifeu verfügt über vertieftes Wissen zur Modellierung des Wärmeverbrauchs von Wohn- und Nichtwohngebäuden u.a. über das Gebäudemodell GEMOD sowie zu im Hinblick auf die Erstellung des bundesweiten Wärmeatlas benötigten GIS-Methoden. Darüber hinaus fließen seitens ifeu Vorarbeiten zur Klassifikation industrieller Abwärmeströme und zur Ausgestaltung der politischen Rahmenbedingungen aus der Nationaler Klimaschutzinitiative und dem Nationalem Aktionsplan Energieeffizienz ein.

Die GEF Ingenieur AG hat bereits in einem Vorgängerprojekt bei der Erstellung eines bundesweiten digitalen Wärmeatlas mitgewirkt sowie zahlreiche Wärmeatlanten im Rahmen von Versorgungskonzepten erstellt. Als B2B-Dienstleister beschäftigt sich GEF mit allen Fragen rund um das Thema „leitungsgebundene Wärmeversorgung“. GEF verfügt somit über langjährige und praxisrelevante Kompetenzen im Bereich der netzgebundenen Abwärmenutzung (technisch, wirtschaftlich).

Im Unterauftrag des ifeu bringen geomer und Indevo technisches Know-how zur Beschaffung und Aufbereitung der Geodaten bzw. als Industriedienstleister zur Durchführung der Praxisfallstudien ein.

Meilensteine und Erfolge

Es wurde eine umfassende Geodatenbank mit rund 4.000 Industriestandorten erstellt. Sie enthält spezifische Angaben zu Energieeinsätzen und resultierenden theoretisch nutzbaren Abwärmemengen – differenziert nach Temperatur, Feuchte, Schadstoffbelastung und zeitlicher Verfügbarkeit.

Des Weiteren wurde ein bundesweiter Wärmebedarfsatlas erstellt, der den gesamten Wohn- und Nichtwohngebäudebestand dokumentiert. Über den räumlich hoch aufgelösten Wärmebedarfsatlas können energetische Sanierungsszenarien abgebildet und langfristig verfügbare Wärmesenken (Wärmenetze) identifiziert werden.

Bottom-Up-Berechnung des verbrauchskalibrierten Nutzenergiebedarfs für Raumwärme und Warmwasser im Wärmeatlas in Abhängigkeit energetischer Sanierungspfade aus dem Gebäudemodell GEMOD
Bottom-Up-Berechnung des verbrauchskalibrierten Nutzenergiebedarfs für Raumwärme und Warmwasser im Wärmeatlas in Abhängigkeit energetischer Sanierungspfade aus dem Gebäudemodell GEMOD (© ifeu; Hausumringe: © GeoBasis-DE / LDBV)

Wärmenetzversorgungsgebiete wurden in einem neu entwickelten bundesweiten Wärmenetzmodell verortet. Das Modell umfasst bestehende Fernwärmegebiete und potenziell zusätzliche Versorgungsgebiete, deren technisch-wirtschaftliche Realisierbarkeit über eine Liniendichte [MWh/m*a] auf Ebene eines 500m-Analyserasters abgebildet wird. Unter der Annahme moderater energetischer Sanierungen in den kommenden Jahren errechnete das Wärmenetzmodell für das Jahr 2030 einen Wärmeabsatz von 64 TWh in bestehenden Wärmenetzgebieten und weiteren 130 TWh in potenziellen Wärmenetzgebieten. Diese Modellierung bildet die Grundlage einer Potenzialanalyse netzgebundener Abwärmenutzung.

Aus der Datenbank zu theoretischen Abwärmepotenzialen und dem entwickelten Wärmebedarfsatlas und Wärmenetzmodell wurde das Abwärmekataster abgeleitet. Werden in dem Kataster ausschließlich bereits bestehende Wärmenetze berücksichtigt und Netzbetriebstemperaturen im Status quo sowie Referenzkosten von 120 EUR/MWh angenommen, kann bundesweit etwa ein Fünftel des theoretisch verfügbaren Potenzials technisch und wirtschaftlich genutzt werden (10 TWhth pro Jahr). Werden zusätzlich Potenzialgebiete für Wärmenetze berücksichtigt, können weitere 11 TWh Abwärme technisch-wirtschaftlich für die Wärmeversorgung von Gebäuden erschlossen werden.

Datengrundlage und Ergebnisse der räumlichen Potenzialanalyse zur Bestimmung des technisch-wirtschaftlichen Abwärmenutzungspotenzials
Datengrundlage und Ergebnisse der räumlichen Potenzialanalyse zur Bestimmung des technisch-wirtschaftlichen Abwärmenutzungspotenzials. (© GEF)
Datengrundlage des bundesweiten Wärmebedarfsmodells für Wohn- und Nichtwohngebäude
Datengrundlage des bundesweiten Wärmebedarfsmodells für Wohn- und Nichtwohngebäude (© ifeu; Hausumringe: © GeoBasis-DE I Geobasis NRW 2017)

Im Rahmen der Praxiserhebungen wurden rund 600 Industrieunternehmen kontaktiert und bei sechs Unternehmen Vor-Ort-Erhebungen durchgeführt. Es wurden Nutzungskonzepte für die verfügbaren Abwärmemengen erarbeitet und Fragebögen zu netzgebunden nutzbaren Abwärmepotenzialen ausgewertet. Diese Praxiserhebungen zeigen, dass in vielen Unternehmen extern nutzbare Abwärmemengen verfügbar sind und sich diese bei 80 % der untersuchten Unternehmen auch wirtschaftlich erschließen lassen. 

Anwendung

Der Wärmebedarfsatlas, der 19,4 Millionen beheizte Wohngebäude und 3,1 Millionen beheizte Nichtwohngebäuden umfasst, basiert auf kostenpflichtigen Daten. Seitens der Projektpartner Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, GEF Ingenieur AG und Geomer GmbH wurde ein Lizenz- und Nutzungsvertrag zur projektübergreifenden Nutzung und Datenbereitstellung erarbeitet. Dritte können den Wärmebedarfsatlas über die Geomer GmbH für beliebige Gebietsausschnitte innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland lizenzieren. Damit lassen sich unter anderem Fragen der kommunalen Wärmeplanung bzw. der Erstellung von Wärmeversorgungskonzepten mit einer räumlich hochauflösenden Datengrundlage auf Ebene einzelner georeferenzierter Gebäude beantworten.

In Verbindung mit dem Abwärmekataster lassen sich zum Beispiel Quellen-Senken-Analysen auf kommunaler oder regionaler Ebene durchführen, ebenso wie Analysen für Energieleitplanung, Transformationsstrategien und Potenzialstudien. Die Datensätze zu den theoretischen Abwärmepotenzialen an 4.000 Industriestandorten wurden den zuständigen Landesbehörden angeboten. Eine Veröffentlichung als Abwärmekataster ist durch die Länder zu prüfen.

Schematische Darstellung des Wärmenetzmodells zur räumlichen Identifikation von Wärmenetzversorgungsgebieten
Schematische Darstellung des Wärmenetzmodells zur räumlichen Identifikation von Wärmenetzversorgungsgebieten (© ifeu)
Angenommene Netzbetriebstemperaturen im Basisszenario (konservativ) sowie bei perspektivischer/progressiver Temperaturabsenkung
Angenommene Netzbetriebstemperaturen im Basisszenario (konservativ) sowie bei perspektivischer/progressiver Temperaturabsenkung. (© GEF)
Zuletzt aktualisiert am:

12.07.2021

Industrielle Abwärme in Wärmenetze einspeisen

För­der­kenn­zei­chen: 03ET1302A-B

Projektlaufzeit
01.08.2015 31.07.2018 Heute ab­ge­schlos­sen

The­men

För­der­sum­me: 748.926 €

Kontakt

Koordination
IFEU – Institut für Energie- und Umweltforschung GmbH
 http://www.ifeu.de

Tel.: +49(0)6221-4767-0

Simulation, Modellierung
IFEU – Institut für Energie- und Umweltforschung GmbH
http://www.gef.de
info@gef.deTel.: +49(0)6224-9713-0

Weiterführende Links

zur Software

Download zur Neuigkeit

©struvictory - stock.adobe.com

Energieversorgung in Gebäuden und Quartieren

Im Fokus der Forschung zu energieoptimierten Gebäuden und Quartieren stehen effiziente und zugleich wirtschaftliche Versorgungsstrukturen. Systemische Ansätze statt Einzellösungen sind gefragt, um Sektorkopplung und Digitalisierung voranzutreiben und den Primärenergiebedarf im gesamten System durch die Integration erneuerbarer Energien deutlich zu senken.

mehr
Newsletter

Nichts mehr verpassen:

© bluejayphoto