Hell, angenehm warm und blendfrei: Flexible, textile Fassadenelemente steuern die Solareinstrahlung so, dass diese Bedürfnisse der Nutzenden im Gebäude möglichst gut erfüllt werden. Jetzt haben Forschende herausgefunden, wie das noch besser funktionieren kann.

Wenn die Sonne auf ein mehrstöckiges Bürogebäude mit textilen Sonnenschutzelementen scheint, fühlt sich das für manche Mitarbeitende sehr behaglich an, andere fühlen sich trotzdem geblendet. Woran liegt das? Je nachdem aus welcher Richtung das Sonnenlicht auf den Sonnenschutz fällt, ändert sich der Lichtdurchgang, von Fachleuten Transmissionsgrad genannt, in das jeweilige Büro. Das heißt, der gleiche Sonnenschutz hat je nach Position der Fensterseite des Raumes und der Mitarbeitenden eine andere Wirkung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen hier von Winkelselektivität des Sonnenschutzes: Diese tritt auf, wenn bei gleichem „klassischen“ Einfallswinkel die Transmission definiert variiert, abhängig davon aus welcher Richtung die Einstrahlung erfolgt.

"Wir möchten die optimale Transmission für jede Richtung erreichen"

Bei Textilien ist diese Eigenschaft besonders ausgeprägt: „Textilien haben im Unterschied zu Folien die Eigenschaft, dass ihre Transmissionsgrade bei gleichem klassischen Einfallswinkel per se unterschiedlich sind, je nach Einstrahlungsrichtung. Dies liegt daran, dass Gewebe aus Fadensystemen aufgebaut sind, die in verschiedenen Vorzugsrichtungen verlaufen“, erklärt Projektmitarbeiter Bastian Baesch von den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF).

Bastian Bäsch von DITF
Abb.1: „Wir möchten die optimale Transmission für jede Richtung erreichen“, sagt Bastian Baesch von DITF. Quelle: DITF

 „Mit unseren Untersuchungen streben wir an, dass die Transmission aus unterschiedlichen Richtungen für die Anwendung optimal ist. Wir suchen also Textilstrukturen, mit denen der Lichteinfall in den Raum nach verschiedenen Kriterien optimiert werden kann", so Baesch. Im Forschungsvorhaben EnOB:Textil KFFS (Entwicklung von schaltbaren textilen Fassadenkomponenten mit verbesserten Bewertungsmethoden) haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dies untersucht.

Aktuelle Bewertungsverfahren sind nicht praxistauglich

Das Problem bei der Entwicklung eines neuen Fassadenelements aus Textil: Wie misst man auf standardisierte und damit vergleichbare Weise die bei einem Sonnenschutz relevanten Größen wie Transmissions-, Reflexions- und Absorptionswerte?

Die aktuellen Normen beziehen sich bisher im Wesentlichen auf senkrechten Lichteinfall, wie er etwa bei Beleuchtung von Dachfenstern direkt von der Sonne vorkommen kann, aber bei vertikalen Fassaden sehr selten ist. Dabei kommt schräg einfallendes Licht bei Fenster- und Fassadensystemen – sowohl von der Sonne wie vom Himmel - wesentlich häufiger vor. Dies kann in der Praxis dazu führen, dass trotz eines nach Norm gemessenen niedrigen Transmissionsgrades, der Sonnenschutz an einer üblichen senkrechten Fassadenfläche mit schrägem Lichteinfall nicht den gewünschten Effekt erzielt. Wenn die Sonnenschutzelemente bereits vorher nach einem normierten, an der Praxis orientierten Verfahren gemessen werden könnten, würde dies die Arbeit von Herstellern sowie Architektinnen und Architekten erleichtern.

Projektergebnisse fließen in Normen ein

Ziel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler war es zunächst, ein geeignetes Bewertungsverfahren für so genannte „winkelselektive, schaltbare, textile Fassadenelemente“ zu entwickeln. Dazu definierten sie, mit welchen Verfahren und Messgrößen Material und Gewebe der Textilelemente charakterisiert werden sollten. Zudem optimierten sie die Messmethoden und entwickelten Bewertungsmetriken. Somit war es möglich, winkelabhängige Transmissionswerte zu validieren. „Durch unsere Arbeit ist es jetzt möglich, die lichttechnischen Eigenschaften von Sonnenschutztextilien genau zu bestimmen. Außerdem konnten wir Fehlerquellen und Einflussgrößen bei Messungen identifizieren und optimieren“, erklärt Projektleiterin Dr. Helen Rose Wilson vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Erkenntnisse aus dem Projekt sind mittlerweile in die relevanten Normen EN14500 und EN14501 eingeflossen.

Neues Textilelement passt sich an Nutzerbedürfnisse an

Die Liste der Anforderungen an textile Fenster- und Fassadenelemente ist lang (Abb.3): Diese sollen ausreichend Tageslicht ins Gebäude lassen, aber auch verhindern, dass die Bewohnerinnen und Bewohner von der Sonne geblendet werden. Außerdem sollen sie dabei unterstützen, das Gebäude bei kalten Temperaturen mit Sonnenenergie zu heizen, aber bei heißen Außentemperaturen dafür sorgen, dass es in den Innenräumen nicht zu warm wird. Möglich wird dies durch die Schaltbarkeit der Elemente: Je nach Solareinfall und -intensität werden Position und Anordnung der textilen Komponenten geändert. „Die Nutzerinnen und Nutzer profitieren davon, da die Schaltbarkeit für mehr Komfort sorgt. Außerdem können sie Energiekosten, zum Beispiel bei Klimaanlagen, einsparen“, so Wilson. Die erforderliche Technologie ist also bereits vorhanden. „Dann fehlte nur noch das passende Textil dazu“, bringt Wilson es auf den Punkt.

Projektleiterin Dr. Helen Rose Wilson vom Fraunhofer ISE
Abb.2: Projektleiterin Dr. Helen Rose Wilson vom Fraunhofer ISE über das neue Sonnenschutzelement: „Die Nutzerinnen und Nutzer profitieren davon, da die Schaltbarkeit für mehr Komfort sorgt“. (Quelle: Fraunhofer ISE)

Im Forschungsvorhaben haben die Projektpartner ein entsprechendes Textil entwickelt und eingesetzt. Ausgehend von einer Drehergewebestruktur (Abb.4 und Abb.5) wurde die Winkelselektivität durch wiederholte Schussrapporte (Sequenzen von Schussgarnen) mit Garnen unterschiedlicher Durchmesser erreicht. Zwischen den Schussrapporten befinden sich Lücken. Ein zweites Drehergewebe enthält Schussrapporte mit Garnen gleicher Durchmesser, auch mit dazwischenliegenden Lücken. Bei entsprechender Verschiebung der zwei textilen Lagen zueinander wird direkte Strahlung durchgelassen oder blockiert.

Steuerung kann flexibel auf Einstrahlung reagieren

Am Demonstrator (Abb.8) kommen zwei Glasscheiben zum Einsatz, auf die jeweils eine textile Lage geklebt wird. Die beiden Scheiben können mit Hilfe von Elektromotoren im Mikrobereich (maximal zwei Millimeter) gegeneinander verschoben werden (Abb.6 und 7). Dadurch kann die Einstrahlrichtung, mit der die Sonnenstrahlung in den Raum gelangt, eingestellt werden. Dies hat Vorteile: Die Steuerung kann flexibel und schnell auf unterschiedliche Anforderungen im Tagesverlauf, aber auch über Jahreszeiten hinweg reagieren. Die Einstellungen werden angepasst, je nachdem ob im Raum geheizt werden soll oder nicht. Durch die erste Glasscheibe mit aufkaschiertem Textil wird bereits ein Teil des Lichts winkelselektiv „ausgesperrt“ oder durchgelassen. 

Das Restlicht fällt durch die Luft zwischen den Platten und wird dann durch das zweite Textil in den Innenraum gelassen oder gesperrt. Damit das Licht die gleiche Richtung behält, ist es erforderlich, dass es auf die entscheidenden Schussgarnoberflächen aus der Luft und nicht aus der polymeren Klebeschicht fällt. Eine Makroschaltung ermöglicht, dass die beiden Glasscheiben auch völlig aus dem Sichtfeld verschoben werden können. Dies kann zum Beispiel im Winter sinnvoll sein, wenn die Nutzerinnen und Nutzer sich einen hohen Lichteinfall in ihren Räumen wünschen.

Definierte Lücken erforderlich

Die im Projekt eingesetzten Textilien besitzen eine Drehergewebestruktur. Dabei ist ein Teil der Kettgarne des Gewebes gerade angeordnet, der andere Teil umschlingt sowohl diese gerade liegenden Trägerkett- als auch Schussgarne und bindet diese aneinander. Bei der maschinellen Fertigung verteilen sich die Schussfäden tendenziell gleichmäßig auf den Kettgarnen. Damit ausreichend direkte Sonnenstrahlung durch die erste Schicht des Zwei-Scheiben-Demonstrators gelangt, war es aber erforderlich, dass auf der ersten Ebene definierte Lücken im Textil vorhanden sind. Um dies zu erreichen, wurden die Webmaschinen umgebaut. Auswaschbare Schussgarne werden nun zuerst in das Gewebe eingewoben und zum Schluss ausgewaschen.

Weitere Untersuchungen am Forschungskubus

Auf dem Gelände der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF) haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen ForschungsKUBUS installiert. Hier können sie die Einflüsse auf die Raumbeleuchtung in einem realen Umfeld vermessen. Der Testwürfel ist lichtmesstechnisch umfangreich erfasst. Somit können die Forschenden die entsprechenden Umweltparameter genau beschreiben und die daraus hervorgehenden Einflüsse auf Sonnenschutztextilien weiter untersuchen.

Praxistransfer

  • Die Projektergebnisse helfen dem beteiligten Textilunternehmen, neue innovative textile Sonnenschutzprodukte mit deutlich verbesserter Funktionalität zu entwickeln und auf den Markt zu bringen.
  • Die beiden Forschungsinstitute Fraunhofer ISE und DITF bieten der Sonnenschutz- und Verglasungsbranche auf Basis der Projektergebnisse neue, validierte Simulations- und Messverfahren an.
  • Im Projekt wurden Probleme gelöst, die bei der Simulation und optischen Vermessung von Sonnenschutzprodukten, insbesondere von Sonnenschutzgeweben und lichtlenkenden oder streuenden Verglasungen, auftraten.
  • Die Projektergebnisse fließen in die Arbeit der Normungsgruppe CEN/TC33/WG3/TG5 ein sowie in mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen. Die Projektergebnisse haben somit direkten Einfluss auf die CE-Kennzeichnung von Sonnenschutzprodukten. (bs)
Zuletzt aktualisiert am: 
07.01.2022

EnOB: Textil-KFFS: Entwicklung von schaltbaren textilen Fassadenkomponenten mit verbesserten Bewertungsmethoden

För­der­kenn­zei­chen: 03ET1432A-C

Projektlaufzeit
01.03.2017 30.09.2020 Heute ab­ge­schlos­sen

The­men

Gebäude

För­der­sum­me: 1.965.020,00 €

Kontakt

Koordination
Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE)
Dr. Helen Rose Wilson
Webadresse

Tel.: +49 761 4588-5149

Forschung
Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung (DITF)
Bastian Baesch
Webadresse
E-Mail
Tel.: +49 (0)711 93 40-386

Spinnerei & Weberei
ETTLIN AG
Dr.-Ing. Richard Müller
Webadresse

Tel.: +49 (0) 7243 107 141

Abschlussbericht zum Projekt

Abschlussbericht

©photo 5000 - stock.adobe.com

Gebäude

Um Bedürfnisse ihrer Nutzer zu erfüllen, müssen Gebäude sich über geeignete Verglasungen, Fassaden und Systeme für das Luft- und Wärmemanagement an das Außenklima und die variierenden Nutzeranforderungen anpassen. Clevere Gebäudekonzepte und innovative gebäudetechnische Systeme bieten hierfür die notwendige Flexibilität.

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