31.01.23 | Aktualisiert am: 14.02.2023

Wärmepumpen, Solarthermie-Anlagen und andere klimafreundliche Wärmelösungen gibt es bereits am Markt. Warum die angewandte Energieforschung trotzdem weiter an diesen Technologien arbeitet und wieso dies wichtig für die Umsetzung ist, erklärt Professor Dr. Hans-Martin Henning im Interview.

Wie können fossile Brennstoffe in der Wärmeversorgung von Gebäuden und Quartieren durch klimafreundliche Alternativen ersetzt werden? Dafür gibt es verschiedene Technologien und Ansätze, die auch heute schon zum Einsatz kommen, etwa Wärmepumpen, Solarthermie- und Geothermieanlagen sowie Niedertemperaturnetze. Doch auch, wenn es viele der grundlegenden technischen Lösungen bereits gibt, sind viele davon noch nicht flächendeckend im Einsatz.

Prof. Dr. Hans-Martin Henning ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE und Mitglied im Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung. Im Video-Interview am Rande der Jahrestagung des ForschungsVerbunds Erneuerbare Energien in Berlin spricht er über Forschungsthemen, die jetzt besonders wichtig sind, die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis sowie seine Vision für eine klimaneutrale Zukunft.

Prof. Dr. Hans-Martin Henning: Die Frage, ob wir noch Forschung brauchen oder jetzt die Umsetzung nicht viel wichtiger wäre, würde ich beantworten: Wir brauchen beides tatsächlich. Natürlich brauchen wir die Umsetzung. Ehrlich gesagt, brauchen wir auch für die Umsetzung Forschung. Also das ist ein Forschungsaspekt. Ich glaube, wir müssen tatsächlich Forschungsfragen auch dahingehend beantworten: Wie kann Umsetzung beschleunigt werden? Das ist dann auch interdisziplinäre Forschung unter Einbeziehung beispielsweise von Akteurs-Perspektiven, unter Einbeziehung der Nutzer.

Wo sehen Sie hier aktuell Forschungsbedarf? Bitte nennen Sie ein Beispiel.

Henning: Wir werden ja zukünftig ein Stromsystem haben, das mit immer mehr Mengen an erneuerbaren Energien aus Sonne und Wind umzugehen hat. Die sind wetterabhängig und die erfordern, dass wir eine hohe Flexibilität im System bereitstellen. Aber dafür brauchen wir Forschung, beispielsweise an digitalen Techniken, um die Vernetzung und auch die sichere Vernetzung dieser verschiedenen Komponenten zu ermöglichen. Und das Ganze sinnvollerweise auch noch in Kommunikation, im Datenaustausch mit dem übergelagerten Stromnetz, um die Flexibilitäts-Potenziale, die Gebäude und Quartiere liefern, dann auch systemdienlich abrufen zu können. Und da sind viele Lösungen, die sehr umsetzungsrelevant sind, tatsächlich noch nicht gefunden. Und die müssen wir eigentlich in der praktischen Anwendung erproben und entwickeln.

Der Trend geht momentan zu Wärmepumpen: Was muss hier noch weiterentwickelt werden?

Henning: Wärmepumpen mit klassischen Kältemitteln, die ein Treibhaus-Potenzial haben, teilweise auch andere toxische Wirkungen haben, wenn sie freigesetzt werden, sollen tatsächlich abgelöst werden durch Wärmepumpen mit Kältemitteln, die diese Problematik nicht haben. Aber die haben dann möglicherweise andere Probleme. Beispielsweise ist Propan ein sehr interessantes Kältemittel, was diese Probleme nicht aufwirft, aber brennbar ist. Das heißt, man braucht an der Stelle wieder andere Lösungskonzepte, beispielsweise Sicherheitskonzepte. Wenn das Propan entweicht, was passiert dann damit? Wie kann man es auffangen, sodass es nicht zu einer Entflammbarkeit kommt oder wie können wir die Kältemittel-Menge in Wärmepumpen so stark reduzieren, dass die Mengen unkritisch sind, die da drin sind?

Auch die Sanierung im Gebäudebestand ist ein wichtiger Faktor. Wie kann diese beschleunigt werden?

Henning: Serielles Sanieren ist beispielsweise ein ganz wichtiges Thema. Also wie kriegen wir Beschleunigung in die energetische Sanierung unseres Gebäudebestandes? Und da ist sicher ein großes Potenzial, wenn wir das stärker industrialisieren können. Das heißt, wir haben eine Vorfertigung von gedämmten Fassaden, vielleicht auch Fassaden, die noch Energie-Funktionen integrieren, Photovoltaik integrieren, Speicher integrieren. Die kann man dann in der Fabrik fertigen und relativ schnell vor Ort anbringen. Aber auch da ist noch vieles zu lösen. Auch da geht es wieder um Digitalisierung. Wir brauchen digitale Gebäude-Modelle von den realen Gebäuden mit ihren ganz konkreten Geometrien, wie sie sind, damit diese industrielle Fertigung in der Fabrik von den Fassaden-Elementen stattfinden kann und sie dann trotzdem auf der Baustelle sicher passen. Also auch, glaube ich, ist das ein ganz wichtiges Forschungsthema, um tatsächlich den Wärmebedarf der Gebäude überhaupt erst mal runter zu bekommen.

Wie sieht unsere klimaneutrale Wärmeversorgung zukünftig aus?

Henning: Das würde ich eigentlich den Blick dann fast noch weiter öffnen. Wie sieht unser klimaneutrales städtisches Leben aus? Vielleicht oder überhaupt, weil letztlich auch an der Stelle ist die Wärme eine wichtige Komponente, aber eben längst nicht alles. Wir können ja beispielsweise auch Verkehr reduzieren, indem wir Wege vermeiden, in dem wir städtische Strukturen haben, in denen Arbeiten, Leben, Einkaufen, Freizeit nah beieinanderliegen. Um nur ein Beispiel zu nennen. Und deshalb denke ich, dass neben all dem, was wir hier auf der Tagung jetzt sehr intensiv behandeln, technische Lösungen, systemtechnische Fragestellungen, letztlich auch soziale Innovationen eine wichtige Rolle spielen werden. Also wie können wir unser Leben so organisieren, dass wir von vornherein erst mal auch weniger Energie brauchen, weniger Energie-Dienstleistungen brauchen und trotzdem gut leben, vielleicht sogar besser. Bei der Wärmeversorgung denke ich eben tatsächlich, dass wir einerseits in 2045 unseren Gebäudebestand saniert haben, so dass erst mal der Wärmebedarf zum Heizen deutlich kleiner sein wird. Ich denke, dass wir einen Großteil davon wirklich durch Vor-Ort-Lösungen auch bereitstellen können, indem wir erneuerbare Energien in die städtischen Räume, in die bebaute Umwelt integrieren, in die Dächer, in die Fassaden, aber auch über Parkflächen, über Lärmschutzwände und vieles weitere. Wo wir sozusagen Strukturen haben, wo wir eben auch Energie Wandler integrieren können. Dann brauchen wir dafür keine zusätzlichen Flächen. Also das, denke ich, spielt eine ganz wichtige Rolle.

Gibt es bei der Energiewende einen Unterschied zwischen Stadt und Land?

Henning: Grundsätzlich ist es auf dem Land erst mal sogar fast leichter, eine erneuerbare Versorgung hinzubekommen, weil wir eben einfach auch nicht diese hohen Energiedichten haben. Wir haben ja heute schon 100 Prozent erneuerbaren Energien Gemeinden, insofern ist es dort leichter. Ich glaube, was auch da eine wichtige Rolle spielen wird, ist die Erreichbarkeit. Also, dass eben auch öffentlicher Verkehr, öffentlicher Nahverkehr ländliche Regionen gut anbindet, damit man auch dort mit wenig eigenen Fahrzeugen leben kann. Und ich glaube auch, dass da viele Innovationen jetzt über den Wärmebereich weit hinausgehen. Wie findet Arbeit zukünftig statt? Also auch da kommt dann wieder das Thema Digitalisierung. Wir werden tatsächlich viel mehr von zu Hause arbeiten können und dann ist es gar nicht mehr so wichtig, wo man wohnt. Also ich glaube, da kommen ganz viele Dinge zusammen, wenn wir uns versuchen auszumalen, wie könnte eine Welt in 2045 aussehen?

Was muss passieren, damit Forschungsergebnisse schnell in die Praxis gelangen?

Henning: Ja, ich würde sagen, dass wir eigentlich da gar nicht so schlecht sind. Also die Förderprogramme des BMWK, des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, sind ja schon im Wesentlichen immer sehr stark daran ausgerichtet, dass Industrieunternehmen, Wirtschaftspartner früh in die Projekte eingebunden werden, sodass eben wirklich deren Bedarfe adressiert werden. Weil die sind nachher die, die es in die wirtschaftliche Umsetzung bringen. Auf der Umsetzungsseite nachher ist es, glaube ich, dann stark eine Frage: Braucht es an bestimmten Stellen noch mal Marktanreize? Braucht es für neue Technologien über die Forschungsförderung hinaus Implementierungs-Strategien? Da muss man auch immer vorsichtig sein, dass nicht nachher Förderung sozusagen zu einem Selbstzweck wird. Also genau hinschauen. Aber an bestimmten Stellen brauchen wir das, beispielsweise jetzt in der Wasserstoff-Wirtschaft. Wasserstoff ist einfach in den nächsten Jahren noch nicht wirtschaftlich konkurrenzfähig, einfach, weil wir durch die Skalierung durchmüssen. Im Bereich der Elektrolyseure und aller nachfolgenden Komponenten. Und insofern braucht es da kluge Förderprogramme, die sozusagen über die Forschung hinaus auch einen Markt-Hochlauf, einen Marktanreiz schaffen, der dann aber eben auch tatsächlich wieder zurückgeht, wenn er nicht mehr notwendig ist. Also das halte ich für ganz wichtig, dass man eben in den Ketten denkt, über Forschungsförderung hinaus. Wie kann man dann auch Markt-Implementierungen unterstützen und flankieren?

Jetzt Projektideen für klimaneutrale Wärme und Kälte einreichen

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat einen „Förderaufruf Klimaneutrale Wärme und Kälte“ veröffentlicht. So genannte Mikroprojekte beschleunigen das Förderverfahren. Nähere Informationen finden Sie auf energieforschung.de.

Vier Menschen sind ausgeschnitten vor blauem Hintergrund zu sehen.
©Projektträger Jülich/Forschungszentrum Jülich GmbH

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Wie Forschende die Wärmewende voranbringen

Welche Lösungen werden unsere Wärmeversorgung künftig prägen und woran wird besonders intensiv gearbeitet? Wir haben nachgefragt.

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