Selber nutzen oder dezentral einspeisen: Eigentümer können nun mit beeinflussen, wie die auf den Dächern ihrer Häuser gewonnene Solarwärme genutzt wird. Neu entwickelte Hausstationen ermöglichen dies technisch.

Auf den ersten Blick war die geplante Neubausiedlung "Wohnen am Campus" mit vielen so genannten Townhäusern kein typisches Fernwärmequartier. So war das Viertel in Berlin-Adlershof kleinteilig geplant und es gab nur einen geringen Wärmeabsatz. Für die Betreiber von Fernwärmenetzen gab es viele Hindernisse, bevor sie die Siedlung an ihr Netz anschließen konnten.

Aber genau das motivierte Andreas Reinholz von der Blockheizkraftwerks- Träger- und Betreibergesellschaft Berlin, kurz BTB: "Mit unserem Projekt wollen wir zeigen, dass auch solche Quartiere für die Wärmeversorgung mit Netzen geeignet sind, die zunächst als nicht fernwärmewürdig eingestuft werden." Das neu errichtete Niedertemperaturnetz in der Siedlung und das externe Fernwärmenetz werden dazu miteinander gekoppelt. Das Niedertemperaturnetz wird an den Rücklauf des vorgelagerten Fernwärmenetzes angebunden.

Überblick über das Neubaugebiet
© BTB GmbH
Überblick über das Neubaugebiet "Wohnen am Campus"

Für diese Lösung bieten sich die Niedrigenergie-Neubauten in Berlin-Adlershof an. Um diese mit Wärme zu versorgen, reichen niedrige Temperaturen aus. "Wir können dazu den Rücklauf des Fernwärmenetzes nutzen. Dieser liegt bei etwa 60°C, was dem Vorlauf von Niedertemperatur-Wärmenetzen entspricht", erklärt Professor Clemens Felsmann von der Technischen Universität Dresden. Dies hat verschiedene Vorteile: "Die noch nicht genutzte primäre Wärme aus dem Fernwärmenetz wird für die Versorgung des Neubaugebietes eingesetzt. Gleichzeitig kühlt der Rücklauf aus, was wiederum gut für das vorgelagerte Fernwärmenetz ist", so der Leiter des Projektes "HighTech-LowEx Energieeffizienz Berlin-Adlershof 2020".

Preis muss wettbewerbsfähig sein

Nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich war das Vorhaben eine Herausforderung. Zunächst mussten Investoren gefunden und von der Idee überzeugt werden. Verantwortlich hierfür war Andreas Reinholz von der BTB: "Da die Gebäudeeigentümer keinen Anschlusszwang haben - das heißt sie müssen ihre Wärme nicht aus dem Netz beziehen - muss das Konzept sich preislich am Wärmemarkt durchsetzen können." Die Fernwärme steht im Wettbewerb mit den anderen Energieträgern Gas und Strom. "Mit einem niedrigen Primärenergiefaktor von 0,25 hatten wir zusätzlich gute ökologische Argumente für die Fernwärme", so Reinholz. Am Ende konnten die Projektpartner 15 von 16 potenziellen Investoren überzeugen. Das Niedertemperaturnetz wurde gebaut und ohne Anschluss- und Benutzungszwang konnte ein Anschlussgrad von 94% erreicht werden.

Neue Hausanschlussstationen funktionieren in zwei Richtungen

Das nächste Etappenziel war, Eigentümer von Mehrparteienhäusern davon zu überzeugen, Solarthermie auf ihren Dächern zu installieren und die Anlagen über so genannte Hausanschluss- und Netzeinspeisestationen (HANEST) an das Nahwärmenetz der Siedlung anzubinden.

Die solar erzeugte Wärme soll den Eigenbedarf decken. Gibt es, zum Beispiel im Sommer, einen Überschuss an Wärme, kann diese dezentral in das Nahwärmenetz der Siedlung eingespeist werden. Der Vorteil für die Hauseigentümer: Sie haben niedrige Betriebskosten, müssen keine Fernwärme beziehen und erhalten für die eingespeiste Überschusswärme eine Vergütung.

Damit dieses Konzept funktionieren kann, haben die Forschenden zunächst geeignete Hausstationen entwickelt. Diese funktionieren in beide Richtungen: Sie können Wärme ins Netz einspeisen, diese aber auch für den Eigenbedarf entnehmen. Herkömmliche Netzeinspeisestationen stehen entweder außerhalb auf freien Flächen, abseits von Gebäuden und speisen nur ein oder es handelt sich um kleine Hausstationen in Gebäuden, die lediglich Wärme entnehmen. Die neuen Geräte verbinden beide Ideen. "Langfristiges Ziel ist es, dass Wärmeüberschuss dezentral eingespeist wird, sodass auch andere Kunden im Quartier von dieser Lösung profitieren", so Felsmann.

Praxistransfer und Ergebnisse

Umgesetzt wurde das Konzept beispielhaft an einem Gebäude mit 16 Wohneinheiten und einer Kollektorfläche von 108 m².  Hier zeigte sich, wie wichtig qualifiziertes und motiviertes Personal ist.

Technisch funktionieren die neuen Hausanschluss- und Netzeinspeisestationen gut. Auch ist die neue Technologie relativ einfach von Herstellern zu übernehmen. Trotzdem sind die Geräte wesentlich komplexer als einfache Übergabestationen. Ein Ineinandergreifen der Regelungsfunktionen zwischen Versorgerseite und Kundenseite ist deutlich ausgeprägter und unumgänglich. Damit das Verfahren seine Effizienz entfalten kann, muss es fachkompetent geplant und installiert werden. Eine korrekte Ausführung ist wichtig. Felsmann: "Plug-and-Play Lösungen, wie man sie sonst aus dem Fernwärmebereich kennt, funktionieren hier nicht. Es ist Weiterbildung erforderlich, damit die Einführung im Markt gelingt."

Insgesamt wurden drei Solareinspeisestationen umgesetzt, von denen zwei erfolgreich in Betrieb sind. Es wurden Primärenergieeinsparungen (entsprechend CO2-Einsparungen) von circa 60% gegenüber dezentralen Lösungen aus Kraft-Wärme-Kopplung erreicht. Die erreichte zusätzliche CO2-Einsparung durch die bessere Ausnutzung der solarthermischen Anlagen liegt bei weiteren 9%. Wenn die dritte Solarstation den Regelbetrieb aufnimmt, wird die zusätzliche CO2-Einsparung über 10% liegen.  

Die Projektpartner stellten Handlungsempfehlungen für Versorger und Akteure zusammen, die Interesse an vergleichbaren Projekten haben. Diese befinden sich im Abschlussbericht des Forschungsvorhabens (Kapitel 2.7).(bs)

Zuletzt aktualisiert am:
12.07.2021

Kontakt

Koordination
TU Dresden - Technische Universität Dresden, Institut für Energietechnik
https://tu-dresden.de/ing/maschinenwesen/iet

Tel.: 0351 463-3449

Projektpartner
BTB Blockheizkraftwerks- Träger- und Betreibergesellschaft Berlin mbH
Webadresse: https://www.btb-berlin.de/
E-Mail:
Tel.: +49(0)30-34990-70

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